Freiheitliche Souveränität und Selbstbestimmung – Sezessionsrecht der Katalanen
Freiheitliche Grundlegung
Freiheit ist die Würde des Menschen. Die äußere Freiheit ist die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ (Kant, MdS, S. 345). Die innere Freiheit ist die Sittlichkeit, deren Triebfeder die Moralität ist. Sittlichkeit ist die praktische Vernunft, die unparteiliche Sachlichkeit. In einem Gemeinwesen, dessen politische Grundlage die Idee der Freiheit ist, also die der Gleichheit aller Menschen in der Freiheit, ist diese Sittlichkeit die Logik der Ethik und damit des Rechtsprinzips. Das Sittengesetz ist als Ethos des gemeinsamen Lebens in gleicher Freiheit das Sozialprinzip. Das Sittengesetz ist der kategorische Imperativ, die universalisierte Fassung der biblischen lex aurea. Es ist die politische Formulierung des ethischen, zumal christlichen, Liebesprinzips. Das Sittengesetz ist das Rechtsprinzip. Das Sittengesetz ist das Gesetz des Sollens.
Es ist das Gesetz der Freiheit als der Autonomie des Willens. Die äußere Freiheit findet ohne innere Freiheit keine Wirklichkeit. Freiheit ist eine Kategorie der Vernunft, ein notwendige Idee. Der Wille ist darum aus sich selbst heraus Gesetz und somit Freiheit nichts anderes als die Autonomie des Willens.
Die Sittlichkeit bedarf der Materialisierung in Gesetzen, die nur Gesetze des Rechts, Rechtsgesetze, sind, wenn sie praktisch vernünftig, nämlich unparteilich und sachlich, sind, also dem kategorischen Imperativ genügen.
Freiheit verwirklicht sich durch Rechtlichkeit in allgemeiner Gesetzlichkeit. Freiheit ist die Rechtlichkeit als die Wirklichkeit des Rechts. Nur wer unter dem eigenen Gesetz lebt, das logisch zugleich ein Gesetz all derer sein muß, die zusammen leben, ist äußerlich frei, nämlich unabhängig von nötigender Willkür anderer. Das demokratische Prinzip, mittels dem die Freiheit der Bürger verwirklicht wird, hat darum seine Grundlage in der Würde des Menschen. So sieht das auch das deutsche Bundesverfassungsgericht.
Das Recht ist objektiv, nicht willkürlich und schon gar nicht dezisionistisch. Auf der Erkenntnis der Wirklichkeit, des Seins, wird der Sollenssatz aufgebaut, die allgemeinverbindliche Handlungsmaxime. Die Leugnung der Wirklichkeit führt zu fehlerhaften Gesetzen. Gesetzgebung ist Sache von scientia und prudentia. Die praktische Vernunft bestimmt die Materie der Gesetze. Verbindlichkeit des als richtig Erkannten begründet allein der Wille des Volkes als der Vielheit der Bürger; denn nur unter dem eigenen Gesetz ist der Mensch frei. Das Gesetz muß allgemeiner Wille, volonté générale, sein. Wer die Kognitivität der Rechtssetzung nicht erfaßt oder angesichts der herrschaftlichen und damit willkürhaften Wirklichkeit des Parteienstaates nicht zugestehen will, muß freiheitswidrige Fiktionen einsetzen, um irgendeine Art Volkssouveränität zu dogmatisieren.
Somit ist die Staatsform der Republik, die freiheitlich und demokratisch sein muß, durch die unantastbare Menschenwürde geboten; denn nur in dieser Staatsform bleibt der Mensch Selbstzweck und wird nicht Objekt der Zwecke anderer. Sie ist der Staat von Bürgern, aber die Bürgerlichkeit der Bürger ist das große Defizit jedenfalls des Deutschlands unserer Tage.
Die Moralität ist ein formales Prinzip, welches keine materialen Vorschriften in sich trägt. Sie ist kein Moralismus wie die political correctness. Moral bezeichnet die Triebfeder des guten Handelns. Moral bewirkt den Selbstzwang, dessen Imperativ lautet: „Handle pflichtmäßig, aus Pflicht“ (Kant, MdS, S. 512, 523). Die Pflichten folgen entweder aus den Gesetzen des Rechts, sind also Rechtspflichten, oder aus den Gesetzen der Tugend und sind damit Tugendpflichten. Die Rechtspflichten sind äußerlich und damit erzwingbar. Moralität schließt Legalität ein. Tugendpflichten können Rechtspflichten nicht aufheben.
Entgegen der Ethik dieses Freiheitsbegriffs gibt es kein Recht, sondern nur Unrecht. Das Recht definiere ich als das Richtige für das gute Leben aller Bürger und Menschen auf der Grundlage der Wahrheit. Es wird durch Gesetze der praktischen Vernunft vom Volk und dessen Vertretern in den staatlichen Organen, national also, materialisiert, muß aber gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch die Rechte der anderen Völker und Staaten und deren Bürger, ja die Rechte aller Menschen, achten.
Nur wer die Freiheit mit dem Recht verwechselt, zu tun und zu lassen was beliebt, eine liberalistische Freiheit, die es unter Menschen mit gleicher Freiheit nicht geben kann, kann in den Gesetzen Schranken der Freiheit sehen. Liberalistische Grundrechte, die der Untertan der Obrigkeit entgegenhalten kann, sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den herrschaftlichen Staat. Der Mensch bleibt nach der liberalistischen Konzeption Teil einer vom Staat zu unterscheidenden Gesellschaft. Er wird zwar Bürger genannt, ist aber Bürger allenfalls insoweit, als er durch Wahlen die Ausübung der Staatsgewalt ‚legitimiert‘, wenn nicht Abstimmungen der Bürger ermöglicht sind.
Der Bürger übernimmt Verantwortung für sein Gemeinwesen, er sorgt sich um die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens, er ist Politiker, nicht nur die Abgeordneten. Diese sind lediglich die „Vertreter des ganzen Volkes“, also gewissermaßen dessen Diener, keinesfalls dessen Herren. Aufgabe der Abgeordneten und des Parlaments ist die Erkenntnis dessen, welche Politik richtig für das gute Leben des Volkes auf der Grundlage der Wahrheit ist, also zu erkennen, was in der jeweiligen Lage Recht ist. Das sollen sie als Gesetz beschließen, nicht aber das Volk beherrschen wollen.
Die repräsentative Ausübung der Staatsgewalt ist nicht Herrschaft oder gar Herrschaftsgewalt, wie sie meist noch begriffen wird, als gelte noch das monarchische Prinzip. Oboedientia facit imperantem ist die soziologisch richtige Erkenntnis. Faktizität ist aber nicht schon Recht. Aber ein Bürger gehorcht nicht, sondern folgt dem Gesetz; denn das ist auch sein Wille. Ein Volk kann nicht herrschen, sondern nur frei sein. Meist wird es beherrscht, zurzeit von einer internationalen Finanz-, Medien- und Parteienoligarchie. Die Freiheit des Volkes verwirklicht sich in der Rechtlichkeit der Lebensverhältnisse. Es gibt keine Legitimation von Herrschaft; denn alle Menschen sind frei geboren. Daß sich der Parteienstaat oft, wenn nicht meist, herrschaftlich, ja diktatorisch gebärdet, ändert nichts an der Dogmatik des freiheitlichen Staates, der Republik. Das ist vielmehr Mißbrauch der Vertretungsbefugnis der Amtswalter, welche die Bürger nicht hinnehmen dürfen. Vielmehr muß der Staat die Verfassung der Freiheit durch sein Verfassungsgesetz und seine Gesetze bestmöglich der Lage gemäß verwirklichen.
Souveränität der Staaten und Selbstbestimmung der Völker
In der Republik als dem freiheitlichen Gemeinwesen geht „alle Staatsgewalt vom Volk aus“ (Art. 1 Absatz 2 der Verfassung des Königreiches Spanien; Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), nach innen und nach außen. Das läßt keine Dogmatik einer Staatssouveränität als hegelianische Herrschaft eines personifizierten Staates über die Gesellschaft der Bürger genannten Untertanen zu. Die Staatssouveränität ist ein deutscher Begriff des Konstitutionalismus. Alle Lehren der Staatssouveränität, ein Hybride von Fürsten- und Volkssouveränität, stellen im Interesse der Ordnung den Staat als eigenes Sein über das Recht. Der immer noch herrschenden Lehre von der Staatssouveränität hat in Deutschland die Revolution von 1918 die konstitutionalistische Voraussetzung entzogen.
Die Volkssouveränität wird in Deutschland meist als bloße Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk als politischer Einheit, die nicht mit der Vielheit der Bürger identisch sei, dogmatisiert. Die Organe des Staates würden diese quasi in Organsouveränität ausüben. Martin Kriele beschränkt die Souveränität des Volkes auf den pouvoir constituant. Hugo Krabbe hat die Souveränität des Rechts gelehrt, Hans Kelsen wollte mit seiner Reinen Rechtslehre und der Identifikation von Staat, Souveränität und Rechtsordnung das Souveränitätsprinzip überwinden. Das hat nie überzeugt. Im Interesse postnationaler Ordnung wird das Souveränitätsprinzip weiter destruiert oder relativiert.
Eine auf die Freiheitslehre Jean-Jacques Rousseaus und Immanuel Kants gegründete freiheitliche Souveränitätslehre ist eine Lehre der Bürgersouveränität, die sich in den Formen des demokratischen Rechtstaates entfaltet. In Deutschland war sie bislang nicht entwickelt worden. Ich versuche das in meinen Schriften. Deren Leitsatz ist: Souverän ist, wer frei ist. Allein eine solche Dogmatik wird dem Ideal der liberté, égalité und fraternité gerecht, das nicht nur die Französische Verfassung bestimmt, sondern auch die deutsche, das Grundgesetz, vor allem aber ausweislich Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Weltrechtsprinzip ist. Nur eine Dogmatik der Volkssouveränität als Bürgersouveränität wird der Freiheit gerecht.
Staatsgewalt ist die Hoheit des Volkes, dessen innere Souveränität, die politische Freiheit der Bürger. Die Bürger sind souverän, jeder einzelne. „Souverän ist nicht, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, wie das Carl Schmitt, der Lehrer der Diktatur, konzipiert hat. Niemand kann die Souveränität des Volkes rechtens schmälern. Sie dient einzig und allein der Verwirklichung des Rechts. Die Bürger können aber ihre Souveränität nur als Staat organisiert ausüben. Der Staat ist die Organisation der Bürgerschaft für die Verwirklichung des Rechts. Die Menschen, die für ihr gemeines Wohl einen Staat bilden, sind dessen Bürger, die ihre Souveränität mittels des Staates gemeinschaftlich ausüben.
Spanien regelt in Art. 1 Absatz 2 der Verfassung: „Das spanische Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ist Träger der nationalen Souveränität“. Das ist zumindest unklar, weil die Ausübung der Staatsgewalt nicht angesprochen ist. Aber Spanien bekennt sich in Art. 1 Absatz 1 der Verfassung zur „Freiheit“ und kennt in Art. 6 der Verfassung den „Volkswillen“ und in Art. 10 Abs. 1 der Verfassung die „Würde des Menschen“ und die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“. Das läßt nur eine Dogmatik der Bürgersouveränität zu.
Die äußere Souveränität ist die Unabhängigkeit von fremden Staaten, von Staatenverbünden oder auch nur von Machthabern. Sie ist die unmittelbare Völkerrechtssubjektivität, aus der Rechte, aber auch Pflichten erwachsen, nämlich die Pflicht, das allgemeine Völkerrecht, aber prinzipiell auch die völkerrechtlichen Verträge zu wahren. Mit den anderen Völkern im Frieden zu leben und den Frieden durch Verträge, notfalls durch Bündnisse, zu sichern ist Rechtspflicht. Immanuel Kant hat das in seiner wegweisenden Schrift ‚Zum ewigen Frieden‘ ausgearbeitet und den „Föderalism freier Staaten“ postuliert, wie ich formuliere, die Republik der Republiken.
Jede äußere wie auch innere Beschränkung der Souveränität verletzt die Freiheit der Bürger. Die politische Freiheit der Bürger verwirklicht sich in der Souveränität des Volkes als der Bürgerschaft. Kein Volk kann seine existentielle Staatlichkeit aus der Hand geben, ohne die Souveränität der Bürger als deren Freiheit zu verletzen. Die Freiheit hat wie die Souveränität ihre innere Bestimmtheit, nämlich das Rechtsprinzip, die Sittlichkeit oder praktische Vernunft. Diese sind nicht beschränkbar. Sie können nur verwirklicht oder verletzt werden. Jede Verletzung des Rechtsprinzips, zumal der demokratischen Prinzipien der Rechtsetzung, nicht schon jede Gesetzesverletzung, ist eine Verletzung der Souveränität der Bürger, nämlich der Autonomie des Willens derselben.
Die Souveränität als die Freiheit und damit die Würde des Menschen ist nicht einschränkbar. Weil die Souveränität ein Rechtsprinzip des Staates im Innern und nach außen war und ist, unterlag sie immer rechtlichen Grenzen und unterliegt sie gegenwärtig rechtlichen Grenzen. Sie hat Grenzen des Rechts, nämlich die Freiheit der anderen. Das sind die äußere Rechtlichkeit nach den allgemeinen Gesetzen des Volkes als der Bürgerschaft und die innere Sittlichkeit jedes Bürgers, kurz die Bürgerlichkeit der Bürgerschaft. Die äußeren Grenzen der Souveränität sind die Rechte anderer Staaten, wie die Freiheit des Menschen durch die gleiche Freiheit der anderen Menschen bereits begrifflich eingeschränkt ist. Insbesondere ist es das Recht aller Staaten auf Frieden, die Souveränität der anderen Staatsvölker und das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Art. 1 Nr. 1 und 2 der UNO-Charta).
Aber die Souveränität kann verletzt werden, so daß sie faktisch nicht verwirklicht wird oder werden kann. Die Souveränität ist ein Recht. Jedes Recht kann verletzt werden, ohne dadurch verloren zu gehen. Souveränität kann der Macht nicht entsagen. Es bedarf der Macht, um das Recht erzwingen zu können. Aber nur Tyrannen haben die Macht über das Recht gestellt. Manche Staaten sind mächtiger als andere. Das nimmt den Schwächeren nicht die Souveränität, aber gefährdet diese faktisch. Das ist das ewige Problem der Macht, ihr Mißbrauch. Die Souveränität der Bürger ist nicht nur von außen gefährdet, sondern vor allem von innen, durch den Staat selbst, genauer die Amtswalter des Staates. Je größer der Staat ist, desto schwächer sind Demokratie und Rechtsstaat. Das erweist das demokratischste Land dieser Welt, wenn nicht das einzig wirklich demokratische Land, die Schweiz mit den vielen Kantonen, denen die Souveränität nicht abgesprochen werden kann. Die Souveränität gebietet durchgehend die strikte demokratische Legalität allen staatlichen Handelns. Nur dadurch wird die Staatsgewalt vom Volke ausgeübt, wie das Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorschreibt. Der Parteienstaat schirmt jedoch die Bürger weitgehend und zunehmend von der Politik ab und nimmt ihnen damit weitgehend die politische Freiheit.
Die Souveränität ist kein eigenständiges Grundrecht der Bürger oder des Volkes, sondern deren Freiheit selbst. Sie findet Schutz in den politischen Grundrechten, vornehmlich dem der Freiheit und dem der Demokratie.
Wenn die freiheitliche Bürgerlichkeit gelingen soll, müssen die Menschen ein wirkliches Volk sein, das durch seine Sprache, Geschichte, Schicksal seinen Zusammenhalt und damit Solidarität gewährleistet. Die hinreichende Homogenität der Bürgerschaft ist Voraussetzung einer Republik als freiheitlichen Gemeinwesen. Anders finden demokratische Strukturen keine Wirklichkeit. Am besten wäre eine aufklärerische Homogenität der Staatsangehörigen, so daß andere Merkmale, wie etwa die Religion, irrelevant werden. Aber davon entfernen sich die Völker Europas zusehends.
Die vermeintlich postmoderne Ideologie will einen Weltstaat, the One World, durchsetzen und bekämpft mit allen Mitteln der Diffamierung die Nationalität, obwohl diese für eine freiheitliche Demokratie unverzichtbar ist. Als geeignete Ideologie hat man den Islam erkannt, der die Menschen zu Untertanen macht. Die Souveränität der Bürger und die Selbstbestimmung der Völker muß mit aller Kraft zur Geltung gebracht werden, wenn die Völker Europas in Freiheit leben wollen. Das vereinte Europa sind nicht die zu einem Bundesstaat entwickelten Vereinigten Staaten von Europa, die mit dem Euro und jetzt mit dessen Scheitern erzwungen werden sollen. Es ist ein Europa des äußeren und inneren Friedens, das nur ein Europa der Völker, ein europäisches Europa sein kann, im übrigen ganz Europa, zu dem auch Rußland, nicht aber die Türkei gehören. Der zentralistische Großstaat ist nicht demokratiefähig.
Das Völkerrecht unterscheidet die „souveräne Gleichheit“ der Staaten nach Art. 2 Nr. 1 der Charta der Vereinten Nationen und die „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ nach Art. 1 Nr. 2 der Charta. Der gewohnheitsrechtliche Status des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist anerkannt. Beide Prinzipien, die Souveränität und die Selbstbestimmung sind die Freiheit der Bürger, deren Willensautonomie. Die Bürger üben ihre Souveränität gemeinsam als Staatsbürger, als Staatsvolk, mittels ihres Staates aus, nach innen und nach außen. Sie bestimmen sich darin selbst gemäß der politischen Form der allgemeinen und gleichen Freiheit, der Republik, deren politische Willensbildung demokratisch verfaßt ist. Das ist Selbstbestimmung des als Staat verfaßten Volkes und somit Souveränität des Staates im bürgerlichen Sinne. Die Selbstbestimmung der Völker ist gleichfalls Ausübung der Souveränität als der Freiheit von Menschen, von einer Menge von Menschen, die ein Volk bilden oder bilden wollen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gibt Völkern, die nicht als Staaten verfaßt sind, das Recht politischer Selbstbestimmung und damit das Recht, einen Staat zu bilden, in dem sie leben. Das Volk des Selbstbestimmungsrechts muß nicht ein Staatsvolk sein.
Das Selbstbestimmungsrecht richtet sich auch und insbesondere gegen Staaten, in welchen diese Völker Bürger eines größeren Staatsvolkes sind. Aber auch Völker, die staatsübergreifend leben, haben das Recht, einen eigenen Staat zu bilden. Sie nehmen dadurch ihre politische Freiheit wahr, die allen voran das Recht zum Inhalt hat, in einem selbstbestimmten, eigenständigen Staat zu leben. Den Unterschied beider Prinzipien macht der Volksbegriff. Die Souveränität des Staates hat das Staatsvolk als die Bürgerschaft des jeweiligen Staates, jeder Bürger, der seine Souveränität mit den anderen Bürgern gemeinschaftlich, organisiert als Staat, ausübt. Das Selbstbestimmungsrecht hat ein Volk, wie immer das begriffen wird. Dieses Recht kollidiert mit dem Bestandsschutz, den die meisten Staaten in ihren Verfassungsordnungen verankert haben. Spanien hat die folgende Regelung in Art. 2 seiner Verfassung: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier; sie anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, aus denen sie sich zusammensetzt, und auf die Solidarität zwischen ihnen“.
Der Volksbegriff des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist streitig und streitbar. Ein Volk kann ethnisch, religiös, kulturell, geschichtlich, sprachlich bestimmt sein. Der Volkscharakter ist jeweils konkret festzustellen. Einen allgemeinen materiellen Begriff des Volkes gibt es nicht und kann es nicht geben. Es sind formale Kriterien, die ein Volk ausmachen. Maßgeblich ist der Wille der Menschen, die in einem Staat als Volk zusammen leben wollen. Dafür ist ein besonderer Grund nicht erforderlich, schon gar nicht ein Grund, der allseits anerkannt wird. Es ist, um mit Rousseau zu sprechen, der contract social, der ein Volk bildet. Kant definiert das Volk als „eine Menge von Menschen, oder eine Menge von Völkern, die im wechselseitigen Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden“ (MdS, S. 429). Das ist ebenso substantiell wie fundamental im freiheitlichen Sinne des Republikanismus. Es geht um das gemeinsame Leben von Menschen in Freiheit und damit in Rechtlichkeit. Notwendig ist die territoriale Einheit hinreichender Größe des Gebietes, in dem die Menschen leben, die sich zu einem Staat verfassen, weil anders kein Frieden möglich ist. Kant spricht demgemäß vom einem „wirklichen Rechtsgesetz der Natur, ein Recht auf bürgerliche Verfassung“ (MdS, S. 366, 374). Aber es können sich immer wieder neue Völker bilden, größere durch Staatenbildung, auch Bundesstaaten, und kleinere durch Separationen von Volksteilen zu neuen Staaten. Maßgeblich ist die „Selbstidentifikation“ einer Menge von Menschen als Volk.
Der Wille der zusammenlebenden Menschen, als Volk einen Staat zu bilden, muß manifestiert werden. Der Wille verwirklicht in praktischer Vernunft die Freiheit. Der Willensakt bedarf einer Abstimmung unter allen Menschen des neuen Volkes oder des Volksteiles eines Staates, der einen neuen Staat bilden will. Das Referendum bedarf einer eindeutigen Mehrheit, um Vergewaltigungen schweigender Mehrheiten durch aktive Minderheiten vorzubeugen. Erforderlich ist weiter ein hinreichendes Verfahren, das die Freiheit der Abstimmung sicherstellt. Dieses Verfahren sollte, wenn ein Volksteil sich von dem Staat, in dem er lebt, separieren will, der alte Staat einrichten.
Der Volksbegriff hat erhebliche politische Sprengkraft, wie 2014 der kriegstreibende Vorwurf gegen die Russische Föderation, sie habe die Krim von der Ukraine annektiert, erwiesen hat. Die Trennung der Krim, genauer des Volkes der Krim, von der Ukraine war eine Sezession, ein Fall der Selbstbestimmung eines Volkes. Die Russische Föderation hat diese Sezession militärisch gemäß der Friendly Declaration der Vereinten Nationen (Nr. 2625 vom 24. Oktober 1970) gegen die Versuche der Ukraine, unterstützt von den USA, geschützt, sie mit Gewalt zu verhindern. Die Bemühungen, die Ukraine in die Europäische Union und schließlich in die NATO zu integrieren, war ein existentieller Vorgang, der auch nach restriktiver Dogmatik eine Sezession rechtfertigt, zumal dem Assoziierungsvertrag der Ukraine mit der Europäischen Union ein gewaltsamer Wechsel der politischen Führung vorangegangen war, nachdem der frühere Staatspräsident nicht bereit war, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Der Umsturz durfte eine ‚schmutzige‘ Intervention des Westens gewesen sein. Das Recht zum Beistand, den Rußland gegeben hat, ist das Recht zur Nothilfe gegen Unrecht. Dieses Recht ist uraltes allgemeines Menschheitsrecht. Es steht über dem Bestandsschutz des Staates.
Die Sezession Schottlands vom Vereinigten Königreich hat das Schottische Volk am 18. September 2014 in einem korrekten Abstimmungsverfahren mehrheitlich abgelehnt. Die Sezession Kataloniens von Spanischen Königreich aber wird völkerrechtswidrig unterbunden.
Der alte Staat ist nicht berechtigt, die Sezession eines Volksteiles mit Gewalt zu unterbinden. Er würde das Selbstbestimmungsrecht des neuen Volkes und damit die politische Freiheit seiner Bürger verletzen. Der elementare Ausdruck dieser Freiheit ist, in diesem neuen Staat leben zu wollen. Dieser Willensakt ist revidierbar. Wenn nur einzelne Bürger den Staat, in dem sie leben, verlassen wollen, steht ihnen das Recht des freien Zuges zur Verfügung. Das ist ein unumstößliches Menschenrecht. Ohnehin muß die Sezession den Schutz der Minderheit, deren ius emigrandi, gewährleisten, aber auch das Verbleiben in der Heimat.
Der Bestandschutz des Staates kann sich gegen das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht nicht behaupten. Zum einen ergibt das der Vorrang des Völkerrechts, der aus dem umgekehrten Monismus folgt, nämlich aus der Freiheit des Volkes, das das Völkerrecht anerkannt und damit zum eigenen Recht gemacht hat. Zum anderen folgt das aus der Freiheit der Menschen selbst, die vor allem das Recht ist, selbst den Staat zu verfassen, in dem sie leben wollen. Das Selbstbestimmungsrecht des Volkes verdrängt somit den Bestandsschutz des Staates. Dessen Schutz im Verfassungsgesetz muß sich die Grenze des Selbstbestimmungsrechtes gefallen lassen. Zum anderen gründet das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der Freiheit des Menschen als dessen Würde. Die aber ist das oberste Rechtsprinzip der Menschheit. Der Staat besteht nur, weil die Menschen, die sich in diesem zur Verwirklichung des gemeinen Wohls vereinigt haben, ihn wollen. Sie können ganz oder in Teilen diesen Willen ändern. Staaten kommen und gehen. Sie haben keine eigenständige Existenz. Es gibt keine Staatssouveränität (mehr), sondern nur Bürgersouveränität als Freiheit des Menschen.
Es ist für den Frieden unter dem Menschen und damit für den Frieden in den Staaten und unter den Staaten von existentieller Bedeutung, daß die Souveränität von dem Selbstbestimmungsrecht der Völker präzise unterschieden wird. Beide gründen in der Freiheit der Menschen, in deren Willensautonomie, und beide sind die grundlegenden Prinzipien der Völkergemeinschaft und des Völkerrechts. Wer sie absichtlich oder unabsichtlich verwechselt, schafft die Gefahr von Kriegen, Bürgerkriegen und Staatenkriegen. Wer sie mißbraucht, versündigt sich an der Menschheit des Menschen.
Sezessionsstaaten als Mitglieder der Europäischen Union
Die Katalanen, die sich aus Spanien lösen wollen, werden gewarnt, daß ein Sezessionsstaat die Mitgliedschaft in der Union einbüße. Das katalanische Volk will sein Selbstbestimmungsrecht nutzen und einen eigenen Staat bilden. Es stärkt nicht das Wohlergehen eines Volkes, der Europäischen Union anzugehören, aber der Verlust der Mitgliedschaft würde viele Bürger irritieren, weil sie die Folgen nicht einschätzen können, und manch einen veranlassen, die Sezession abzulehnen.
Fraglos kann Katalanien als europäischer Staat, der die „Werte“ des Art. 2 EUV „achtet“ und „fördert“, Mitglied der Union werden. Davon macht die Union nach Art. 49 EUV die Mitgliedschaft abhängig. Die Union hat größtes Interesse an der Mitgliedschaft aller Staaten Europas, außer freilich der Rußlands. Dem Aufnahmeantrag des Neustaates müßten nach Anhörung der Kommission der Rat einstimmig und das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen. Die Unionsverträge müßten der neuen Mitgliedschaft angepaßt werden. Der Aufnahme in die Union müßten schließlich alle Vertragsstaaten zustimmen, auch der verlassene Staat. Das Verfahren wäre langwierig und birgt Unsicherheiten.
Aber eine Neuaufnahme der Sezessionsstaaten in die EU ist gar nicht erforderlich. Die Rechtslage ist eine andere: Das sezedierende Volk verliert seine Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht. Es ist als Neustaat genauso Vertragsstaat wie der Altstaat. Maßgeblich ist das völkerrechtliche Kontinuitätsprinzip. So regelt das auch das Wiener Übereinkommen über Staatennachfolge in Verträge vom 22. August 1978, das am 6. November 1996 in sechzehn Staaten in Kraft getreten ist und von 37 Staaten ratifiziert wurde, aber nicht von Staaten Westeuropas, in Art. 34 für die Separation. Die Regelung ist wenig differenziert. Aber der Kontinuitätsgrundsatz ist unerschütterlich, weil die Identität des Vertragsstaates den vor der Sezession bestehenden Staat insgesamt umfaßt, nicht etwa dessen Regierung, dessen Hauptstadt oder was auch immer. Welcher Teil des alten Staates sollte der Vertragsstaat der Europäischen Union sein? Beide oder alle Völker des Altstaates waren, vertreten durch ihren Staat, Mitglieder der Union. Sie bleiben es demgemäß auch.
Die Europäische Union hat an sich nichts mit der Sezession, der Neugestaltung des Staatswesens durch die Völker eines Staates, zu schaffen. Sie ist von der jeweiligen Entwicklung der Staaten abhängig. Sie kann den Völkern keine Vorschriften darüber machen, ob und wie diese ihre Staatlichkeit ordnen. Das kann nicht einmal der Staat selbst als die Organisation des Volkes oder der zusammenlebenden Völker. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker steht als die Freiheit der Menschen über dem Staat und erst recht über einem Staatenverbund oder Bundesstaat. Es steht nicht zur Disposition der Politik. Es ist vielmehr Grundlage aller Politik. Ähnlich ist die Rechtslage, wenn das Staatsgebiet eines Staates geändert wird, nach dem Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen. Dieses Prinzip hat ohne Schwierigkeiten zur Zugehörigkeit der neuen Länder Deutschlands, dem Gebiet der untergegangenen DDR, in der Europäischen Union geführt hat, nachdem diese der Bundesrepublik Deutschland beigetreten waren. Auch dieser Vorgang hat zu Änderungen des Vertrages über die Europäische Union geführt.
Manche meinen, nach einer Sezession gelte das tabula rasa-Prinzip, wonach für die neuen Staaten die vor der Sezession auf ihrem Gebiet geltenden völkerrechtlichen Verträge nicht verbindlich sind. Dieses Prinzip gilt nur für befreite Völker, die vormals von den Staaten, aus denen sie sezediert sind, abhängig waren, weil sie auf deren Verträge keinen Einfluß gehabt hatten. Das Prinzip gehört zur Entkolonialisierung und paßt nicht zu Staaten, in denen die Bürgerschaft hinreichend demokratisch vertreten war. Manche meinen gar, der Alt- und der Neustaat müßten der Union erneut beitreten, weil beide nicht identisch mit dem Vertragsstaat seien. Eine solche Rechtsfolge der Sezession wäre mit dem Kontinuitätsprinzip, das auch die Vertragspartner schützt, unvereinbar.
Allerdings müssen die Unionsverträge der neuen Mitgliedschaft angepaßt werden, weil ein weiterer Staat Mitglied der Organisation wird und die Vertretung in den Organen der Union völkerrechtsgemäß durchgehend an die Mitgliedschaft der Staaten geknüpft ist – nach dem Prinzip: One state one vote. Die Sitze im Europäischen Parlament müßten den Mitgliedstaaten neu zugeteilt werden. So würde der verlassene Altstaat Sitze zugunsten des Neustaates verlieren. Eine Anpassung der Verträge gemäß deren Prinzipien wäre völkerrechtliche Pflicht der Vertragsstaaten. Ein gewisses Moratorium wäre zu bedenken. Jedenfalls würden die Verträge, das Primärrecht, soweit keine Anpassung erforderlich ist, im Sezessionsstaat fortgelten, zu dessen Gunsten und zu dessen Lasten. Ebenso würden das Sekundärrecht, die Richtlinien und Verordnungen der Union, aber auch das Tertiärrecht wie Ausführungsverordnungen im Sezessionsstaat fortgelten. Auch die Währung bliebe von der Sezession unberührt.
Das weitere Schicksal der Mitgliedschaft des Sezessionsstaates in der Union und des Unionsrechtes in dem neuen Staat hängt von dessen Verfassungsgesetz und von dessen weiteren Gesetzen ab, nicht anders als das nationale Recht des früheren Staates. Der Neustaat nimmt die Souveränität des Volkes wahr, das ihn begründet hat. Der Sezessionsstaat hat wie jeder Mitgliedstaat das Recht, aus der Union auszutreten. Das Verfahren regelt Art. 50 EUV. Er kann auch seine Währung eigenständig bestimmen.
Karl Albrecht Schachtschneider
Palma de Mallorca. 11. März 2016