Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 2014 zur Eurorettungspolitik
I 1) Am 18. März 2014 hat das Bundesverfassungsgericht zum Aktenzeichen 2 BvR 1421/12 (u.a.) sein Urteil über die Verfassungsbeschwerde gegen die Gesetze 1. vom 13. September 2012 zu dem Beschluß des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Art. 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, 2. zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), 3. zur finanziellen Beteiligung am ESM, das ESM-Finanzierungsgesetz, 4. zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, den Fiskalpakt, 5. gegen die sechs Rechtsakte (Sixpack) der Europäischen Union (EU) zur Verstärkung der Haushaltsdisziplin der
Mitglieder der Euro-Gruppe, 6. gegen die Anwendung und Beachtung des Euro-Plus-Paktes für „Stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz“ in Deutschland, 7. gegen die Geldmengenerweiterung durch Überschüttung des Geldmarktes mit Krediten, die gegen nicht hinreichende Sicherheiten ausgegeben werden, zum Zwecke der mittelbaren Staatsfinanzierung und Bankensanierung durch die Europäische Zentralbank (EZB), 8. gegen die Errichtung des TARGET2-Systems der Abwicklung des Zahlungsverkehrs zwischen den nationalen Zentralbanken, 9. gegen das Unterlassen der Bundesregierung, Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV beim Europäischen Gerichtshof gegen die Entgegennahme von Staatsanleihen als Sicherheiten für Zentralbankkredite, sofern diese Maßnahmen der Staatsfinanzierung dienen, zu erheben, sowie 10. gegen das Unterlassen der Bundesregierung, Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV beim Europäischen Gerichtshof gegen das TARGET2-System zu erheben. All die Anträge haben sich gegen die Maßnahmen zur Eurorettung gerichtet. Ich hatte sie namens meiner Mitstreiter Dr. Bruno Bandulet, Prof. Dr. Wilhelm Hankel, Prof. Dr. Wilhelm Nölling und Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty und im eigenen Namen gestellt. Zugleich wurde über weitere Verfassungsbeschwerden mit weitgehend gleichgerichteten Anträgen und über eine Organklage entschieden. Meine Anträge habe ich in der Beschwerdeschrift vom 29. Juni 2012 und weiter in dem Schriftsatz vom 13. November 2012 begründet. Diese Schriftsätze können in meiner Homepage www.KASchachtschneider.de eingesehen werden.
2) Das Verfahren wegen der Verfassungsbeschwerde gegen die mittelbare Staatsfinanzierung einiger Euro-Staaten in Finanzierungsnot durch den Ankauf von Staatsanleihen und die Zusage des Ankaufs von Staatsanleihen für unbegrenzten Zeit und in unbegrenzter Höhe, wenn die betroffenen Staaten Finanzhilfe beim ESM beantragt und sich deren Auflagen unterworfen haben, das Outright-Monetary-Transaction- Programm (OMT-Programm) vom 6. September 2012, hat das Gericht abgetrennt und führt es zum Aktenzeichen 2 auszusetzen und BvR 2729/13 fort. Es hat am 14. Januar 2014 beschlossen, das Verfahren die durch den Ankauf von Staatsanleihen hilfsbedürftiger Eurostaaten und insbesondere das OMT-Programm aufgeworfenen Fragen des Europarechts dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a und b AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen. Es hat in dem Beschluß klargestellt, daß die Verfassungsbeschwerde „voraussichtlich Erfolg“ haben werde, weil „erhebliche Zweifel an seiner (sc. des OMT-Beschlusses) Gültigkeit“ bestünden (55, 69; Zahlen in Klammern jeweils die Absätze des Urteils), falls nicht der Europäische Gerichtshof das OMT-Programm nach Maßgabe eng formulierter Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts restriktiv interpretiert. Dann wäre das OMT-Programm nicht mehr geeignet, der Staatsfinanzierung zu dienen, aber mit dem Grundgesetz vereinbar (verfassungskonforme Interpretation). Das Verfahren schwebt.
II Das Bundesverfassungsgericht hat nur die Verfassungsbeschwerden in Sachen Art. 136 Abs. 3 AEUV, ESM, ESM-Finanzierungsgesetz und Fiskalpakt (Anträge 1 bis 4) zugelassen, aber auch den Antrag von Johannes Schorr, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Arvid Siebert und Katrin Piepho dagegen, daß durch unzureichende haushalterische Vorsorge für den Fall von Kapitalabrufen unkalkulierbare Risiken eingegangen und demokratische Entscheidungsprozesse auf die supranationale oder intergouvernementale Ebene verlagert würden, so daß eine Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch den Bundestag nicht länger möglich sei. Es hat aber diese Anträge verworfen (176 ff.).
Die Verwerfung der Anträge als unbegründet war nach der Eilentscheidung des Gerichts vom 12. September 2012 (BVerfGE 132, 95 ff.), in der es nach einer (außergewöhnlichen mündlichen Verhandlung über die Anträge auf einstweilige Anordnung) die Aussetzung der Ratifizierungsverfahren abgelehnt hatte, zu erwarten. Sie überzeugt dennoch nicht.
Im übrigen hat das Gericht die Verfassungsbeschwerden als unzulässig zurückgewiesen.
Die Organklage der Fraktion Die Linken im Deutschen Bundestag hat das Gericht nur insofern zugelassen, als geltend gemacht hat, „durch die angegriffenen Gesetze entäußere sich der Deutsche Bundestag seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung“ (Absatz 150 und ff.).
III Es ist hervorzuheben, daß das Bundesverfassungsgericht nur darüber entschieden hat, ob der „Anspruch auf Demokratie“ der Bürger aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verletzt worden ist. Einen solchen anerkennt daß Gericht „jenseits von Ultra-vires-Konstellationen nur insoweit, als durch einen Vorgang demokratische Grundsätze berührt werden, die Art. 79 Abs. 3 GG auch dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzieht“, „vor allem in Konstellationen, in denen die Kompetenzen des Bundestages auf eine Art und Weise ausgehöhlt werden, die eine parlamentarische Repräsentation des Volkswillens, gerichtet auf die Verwirklichung des politischen Willens der Bürger, rechtlich oder praktisch unmöglich macht“ (125).
Das Gericht hat erneut die Grundlage seines sehr begrenzten Bürgerschutzes gegen die Politik klargestellt: „Das durch Art. 38 Abs. 1 GG geschützte Wahlrecht gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die Selbstbestimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt. Sein Gewährleistungsgehalt umfasst die Grundsätze des Demokratiegebots im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber schützt. Vor diesem Hintergrund muss der Gesetzgeber ausreichende Vorkehrungen treffen, um seine Integrationsverantwortung dauerhaft erfüllen zu können. Er darf sich namentlich seines Budgetrechts nicht begeben“ (159). „Das Grundgesetz untersagt nicht nur die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die Europäische Union oder im Zusammenhang mit ihr geschaffene Einrichtungen“. „Auch Blankettermächtigungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt dürfen die deutschen Verfassungsorgane nicht erteilen“ (160). „Art. 38 Abs. 1 GG wird insbesondere verletzt, wenn sich der Deutsche Bundestag seiner Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können. Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat. Der Bundestag muss deshalb dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Insofern stellt das Budgetrecht ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar, das auch in einem System intergouvernementalen Regierens Beachtung verlangt“. „Die Haushaltsautonomie der nationalen Parlamente wird durch unionsrechtliche Vorkehrungen abgesichert und nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die Mitgliedstaaten zu einer bestimmten Fiskalpolitik verpflichten. Die Überschreitung einer unmittelbar aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes ableitbaren Obergrenze von Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen kommt allenfalls in Betracht, wenn im Eintrittsfall die Haushaltsautonomie zumindest für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe“ (161 und ff.).
Das Gericht klärt somit nicht umfassend die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Politiken. Art. 38 Abs. 1 GG gebe kein Bürgerrecht auf „Rechtmäßigkeitskontrolle demokratischer Mehrheitsentscheidungen, sondern auf deren Ermöglichung“, pflegt das Gericht zu formulieren (BVerfGE 129, 124 (168 ff.); Vorlagebeschluß vom 14. Januar 2014, Absatz 19). Es läßt damit die Bürger als solche ohne Schutz gegen Verfassungsverletzungen des Gesetzgebers, wenn nicht besondere Grundrechte dem Einzelnen Rechtsschutz geben. Den Grundrechtsschutz des Anspruchs auf Demokratie mißt es Ausnahmecharakter bei.
Zudem läßt sich das Gericht nicht auf das von mir regelmäßig vorgetragene Widerstandsrecht aus Art. 20 Abs. 4 GG ein (132): „Mangels Beschwerdebefugnis unzulässig ist schließlich die Rüge einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 20 Abs. 4 GG durch die Beschwerdeführer zu II. Das Widerstandsrecht ist ein subsidiäres Ausnahmerecht, dessen Verletzung nicht in einem Verfahren gerügt werden kann, in dem gegen die behauptete Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung gerade gerichtliche Abhilfe gesucht wird“. Das hat nur begrenzte Überzeugungskraft, weil Maßstab der Identitätskontrolle aus dem Recht auf Demokratie Art. 79 Abs. 3 GG ist, der die Prinzipien der „Ordnung“ aufführt, welche der Bürger mittels Widerstand zu verteidigen berechtigt und sittlich verpflichtet ist. Das Gericht leistet somit „andere Abhilfe“, aber doch nur, soweit es um die „Ermöglichung“ von Parlamentsentscheidungen geht, nicht aber gegen Verletzungen dieser „Ordnung“ durch das Parlament. Ich trage das Widerstandsrecht vor allem für den Fall vor, daß das Gericht jede Art von Grundrechtsschutz und damit des Schutzes der Souveränität und der Identität des Grundgesetzes verweigert, und meine so, den Schutz des Rechts auf Demokratie und dessen Erweiterung in den vom Gericht zitierten Judikaten im Maastricht- Prozeß erobert und in den weiteren Verfahren gefördert zu haben. Ich will aber auch die bisher verweigerte „Rechtmäßigkeitskontrolle“ erreichen, wenn auch nur im Rahmen der Verfassungsidentität, anders formuliert, der Souveränität. Die Souveränitätsverletzungen durch Regierung und Parlament vornehmlich in der Integrationspolitik schaden Freiheit und Recht. Das Vertrauen in die Rechtlichkeit der Politik des Parteienstaates ist längst verloren.
IV Art. 136 Abs. 3 AEUV lautet: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“ Diese Vertragsregelung verändert das System der Währungsunion für die Euroländer grundlegend. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht: „Zwar bedeuten die Aufnahme von Art. 136 Abs. 3 AEUV und die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – ausgehend von dem Vertragsverständnis, in dem Deutschland die Wirtschafts- und Währungsunion mitbegründet hat – durchaus eine grundlegende Umgestaltung der ursprünglichen Wirtschafts- und Währungsunion, weil sich diese damit, wenn auch in begrenztem Umfang, von dem sie bislang charakterisierenden Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte gelöst hat. Die stabilitätsgerichtete Ausrichtung der Wirtschafts- und Währungsunion wird damit jedoch nicht aufgegeben. Verfassungsrechtlich wesentliche Bestandteile der Währungsunion wie die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (vgl. Art. 130 AEUV), ihre Verpflichtung auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität (vgl. Art. 127 AEUV) und das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (Art. 123 AEUV) werden nicht berührt. Art. 136 Abs. 3 AEUV befreit die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin (vgl. Art. 126, Art. 136 Abs. 1 AEUV) und ist im Übrigen ersichtlich als Ausnahmevorschrift konzipiert“ (180). Das Gericht spricht jedoch: „Art. 136 Abs. 3 AEUV verletzt weder das Demokratiegebot noch sonstige verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Währungsunion“ (178). „Mit Art. 136 Abs. 3 AEUV wird weder ein finanzwirksamer Mechanismus in Gang gesetzt noch werden haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Art. 136 Abs. 3 AEUV ermöglicht den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets lediglich, einen Stabilitätsmechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen auf völkervertraglicher Grundlage zu installieren und bestätigt insofern die fortdauernde Herrschaft der Mitgliedstaaten über die Verträge“ (179). Der Einschätzungsspielraum der zuständigen Verfassungsorgane ist „auch insoweit zu respektieren, als Risiken für die Preisstabilität …nicht auszuschließen sind“ (181).
Das systembestimmende Bail-out-Verbot wird, wenn es erforderlich erscheint, durch oder auf Grund von Sonderverträgen aufgehoben. Es bleibt nur in normaler Lage bestehen. Die „Ausnahmevorschrift“ des Art. 136 Abs. 3 AEUV wird im Regelfall das „die ursprüngliche Wirtschafts- und Währungsunion bislang charakterisierende Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte“ (180) in das Gegenteil verkehren. Erstens hat es die normale Lage, nämlich die vertragsgemäße Lage, in der Eurogruppe bisher nicht gegeben, nicht einmal beim Beginn der dritten Stufe der Währungsunion, der Einführung des Euro, als fast alle Teilnehmer an der Einheitswährung die vertraglichen Teilnahmevoraussetzungen verfehlt hatten, zweitens ersetzt die Befugnis zum Bail-out die Normallage des Maastricht-Vertrages durch eine andere, nämlich die, daß alle Mitglieder der Eurogruppe in kritischer Wirtschaftslage, die immer die Währung gefährdet, für einander einzustehen befugt sind. Die Finanzhilfe der anderen Mitglieder der Gruppe kann somit in der finanziellen Notlage erwartet werden.
Das ist die Institutionalisierung des, wenn auch begrenzten, Finanzausgleichs, ein fragloses Element eines Bundesstaates. Nicht umsonst ist Art. 136 Abs. 3 AEUV als Vertragsnovelle beschlossen worden, wenn auch im fragwürdigen vereinfachten Vertragsänderungsverfahren des Art. 48 Abs. 6 EUV. Diesen (weiteren) Schritt in den Unionsbundesstaat hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang wieder einmal gar nicht erst thematisiert, eine oft geübte, aber nach wie vor untragbare Handhabung eines Beschwerdevortrags, als wenn dieser abwegig wäre. Weil ein Unionsbundesstaat nicht vertraglich vereinbart ist und ohne unmittelbare Zustimmung aller verbundenen Völker auch rechtens nicht vereinbart werden könnte, ist noch lange nicht auszuschließen, daß ein solcher Bundesstaat funktionell und institutionell besteht oder geschaffen wird. Es wäre ein Bundesstaat ohne Volk und damit ohne Recht oder, wie man auch sagen kann, ohne Legitimation. Das setzt den Finanzausgleich ins Unrecht, ganz unabhängig von dessen ökonomischer Fragwürdigkeit.
In einem Staatenverbund, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in der EU sieht, ist ein Finanzausgleich zwischen den Staaten staatswidrig. Er ist die Finanzierung der einen Staaten durch die anderen. Die Bürger der Geberländer werden genötigt, zur Finanzierung der Nehmerländer und deren Bürger Steuern zu entrichten. Das übersteigt die Grenze rechtmäßiger Besteuerung. Steuern dürfen jedenfalls in Rechtsstaaten nur für die Finanzierung des eigenen Staates erhoben werden. Der Staat ist die Einrichtung der Bürger für ihr allgemeines Wohl. Das ist die Verwirklichung der allgemeinen und gleichen Freiheit. Vornehmlicher Zweck des Staates ist die innere und äußere Sicherheit, also müssen Polizei und Militär finanziert werden. Weiterer Zweck ist der innere Frieden, der nicht durch soziale Mißstände gefährdet werden darf, also ein gewisses Maß an Umverteilung, besser, eine gerechte Verteilung des Volkseinkommens nach den Kriterien des Bedarfs, der Leistung, des Eigentums auf der Grundlage der Gleichheit. Im klassischen Sinne ist auch das eine Aufgabe der Polizei. Auch die Infrastruktur als öffentliches Gut paßt gut in die Hände des Staates. Der Staat hat viele weitere Aufgaben an sich gezogen, die er besser privater Bewältigung überlassen sollte, die Schulen und auch Hochschulen, die Kranken-, Alters- und Arbeitslosenversorgung. Die europäischen Staaten haben sich totalisiert, sicher auch eine Fehlentwicklung der auf Wahlen beschränkten Demokratien, die sich weit von durch Freiheit gekennzeichnete Republiken entfernt haben. Aber das rechtfertigt noch lange nicht, die Finanzkraft einer Bürgerschaft für andere Völker und Staaten in Anspruch zu nehmen, solange nicht diese Bürgerschaften sich zu einen Staatsvolk verbunden haben. Erst der gemeinsame Staat rechtfertigt den internen Finanzausgleich, wie ihn Deutschland kennt. Die Finanzhilfen für fremde Staaten sind ein eklatanter Verstoß gegen das grundsätzlichste Prinzip der Haushaltsverfassung, die Verantwortung des Staates für den Haushalt des eigenen Volkes. Gerade weil die Konditionierung der Finanzhilfen demokratiewidrig ist, ist diese Hilfe für fremde Staaten staatswidrig, im doppelten Sinne. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, daß ein Volk die Kosten für die Mißwirtschaft, sei es wegen Korruption, sei es wegen Verschwendung, sei es wegen Rüstung oder was auch immer, eines anderen Volkes trägt, obwohl es auf diese Kosten keinen wirksamen Einfluß hat. Wenn ein anderes Land etwa durch ein Naturereignis in Not kommt ist Hilfe Menschenpflicht und kann auch Kosten verursachen. Das sind Ausnahmefälle.
Das Gericht sorgt sich nur um die „haushaltspolitische Gesamtverantwortung“ des Bundestages, nicht aber um den Haushalt des Staates selbst, der „Eigentum“ der Bürgerschaft ist, die ihn erwirtschaftet und durch ihren Staat verwalten läßt. „Mit der Öffnung für die internationale Zusammenarbeit und die europäische Integration bindet sich die Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtlich, sondern auch finanzpolitisch. Selbst wenn solche Bindungen einen erheblichen Umfang annehmen, wird das Budgetrecht nicht ohne Weiteres in einer über Art. 38 Abs. 1 GG rügefähigen Weise verletzt. Für die Einhaltung des Demokratiegebots kommt es vielmehr entscheidend darauf an, dass der Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten. Würde über wesentliche haushaltspolitische Fragen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages entschieden oder würden überstaatliche Rechtspflichten ohne entsprechende Willensentscheidung des Bundestages begründet, so geriete das Parlament in die Rolle des bloßen Nachvollzugs und könnte die haushaltspolitische Gesamtverantwortung im Rahmen seines Budgetrechts nicht mehr wahrnehmen“ (162). Einer finanziellen Bindung jedenfalls, die doch wohl der Kern der „finanzpolitischen Bindung“ ist, steht das Strukturprinzip der Währungsunion entgegen, das Bail-out-Verbot.
Die Budgetverantwortung des Bundestages und deren Wahrnehmung zeichnet das Gericht erneut näher aus (163 ff.). „Der Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Je größer das finanzielle Ausmaß von Haftungsübernahmen oder Verpflichtungsermächtigungen ist, umso wirksamer müssen Zustimmungs- und Ablehnungsrechte sowie Kontrollbefugnisse des Bundestages ausgestaltet werden. Insbesondere darf dieser sich keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die – sei es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen – zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können, seien es Ausgaben oder Einnahmeausfälle. Dieses Verbot, sich der Budgetverantwortung zu entäußern, beschränkt nicht etwa unzulässig die Haushaltskompetenz des Gesetzgebers, sondern zielt gerade auf deren Bewahrung“ (163). „Eine notwendige Bedingung für die Sicherung politischer Freiräume im Sinne des Identitätskerns der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG) besteht darin, dass der Haushaltsgesetzgeber seine Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens der Organe und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union trifft und dauerhaft `Herr seiner Entschlüsse` bleibt. Es ist zwar in erster Linie Sache des Bundestages selbst, in Abwägung aktueller Bedürfnisse mit den Risiken mittel- und langfristiger Gewährleistungen darüber zu befinden, in welcher Gesamthöhe Gewährleistungssummen noch verantwortbar sind. Aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie folgt jedoch, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen darf, der – einmal in Gang gesetzt – seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist“ (164). „Es dürfen zudem keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnungen für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, etwa durch Übernahme von Bürgschaften, deren Einlösung die Haushaltsautonomie gefährden kann, oder durch Beteiligung an entsprechenden Finanzsicherungssystemen, bedarf nicht nur jede einzelne Disposition der Zustimmung des Bundestages; es muss darüber hinaus gesichert sein, dass weiterhin hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht. Die den Bundestag im Hinblick auf die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union treffende Integrationsverantwortung findet hierin ihre Entsprechung für haushaltswirksame Maßnahmen vergleichbaren Gewichts“ (165).
Das Gericht erklärt „die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik“ und die „die Übertragung wesentlicher haushaltspolitischer Entscheidungen auf Organe einer supra- oder internationalen Organisation oder die Übernahme entsprechender völkerrechtlicher Verpflichtungen grundsätzlich nicht für demokratiewidrig“. Die Entscheidungen, „ob und in welchem Umfang das sinnvoll ist, obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber“. Aber das Gericht weist auch auf die „prinzipielle rechtliche Reversibilität“ hin, die im Demokratieprinzip angelegt sei (168 und ff.), und erinnert, daß „eine irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen vermieden“ werde müsse (173). Die Verpflichtungen haben einen Umfang angenommen, daß sie angesichts der unausweichlichen Staatsausgaben in Generationen nicht erfüllt werden können werden. Folglich rechnet auch das Bundesverfassungsgericht mit einer Restrukturierung der Schulden und hebt immer wieder und zu Recht hervor, daß die Zustimmungsgesetze, welche die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber fremden Staaten begründen, nach dem Prinzip der „umkehrbaren Selbstbindung“ auch wieder aufgehoben werden könnten. Das ist der wichtigste Aspekt haushaltspolitischen Gesamtverantwortung.
Es kann gute Gründe für begrenzte Geldtransfers in andere Staaten geben, etwa Gründe der Verteidigung, nicht aber für die Finanzierung von Banken, nur weil deren Insolvenz auch eigene Banken in Mitleidenschaft ziehen würde. Soweit darf der Staat die internationale Verflechtung der Banken nicht kommen lassen, wenn dadurch fremde Banken „systemrelevant“ werden. Immer muß der Staat seine Souveränität wahren. Rechtlich kann ihm die Souveränität nicht genommen werden; denn sie ist die Freiheit der Bürger. Aber auch faktisch muß der Staat seine Souveränität jederzeit achten, gerade weil sie die Freiheit der Bürger ist. Die internationalistische Aushöhlung der Souveränität ist eine verfassungswidrige Verletzung der Freiheit aller Bürger. Diese essentiellen Gesichtspunkte des Staatsrechts faßt das Bundesverfassungsgericht nicht ins Auge und übersieht damit seine eigentliche Aufgabe als Hüter der Verfassung. Dieses Defizit begleitet die Europarechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von deren Anfang an. Das Gericht will der europäischen Integration nicht das Ende bereiten, wie das die Rechtslage erfordert. Es moderiert, vornehmlich erinnert es den Deutschen Bundestag an dessen Verantwortung, aber es scheut vor der unerbittlichen Verteidigung des Rechts gegen das Integrationsunrecht zurück. Das gebietet ihm aber die Freiheit der Bürger, deren Souveränität. Längst leben wir in der Widerstandslage des Art. 20 Abs. 4 GG.
Die politische Form der allgemeinen und gleichen Freiheit der Bürger, die Demokratie, muß auch vor den Vertretern der Bürger im Parlament geschützt werden, die sich nicht immer oder immer weniger als Bürgervertreter, als die sie gewählt sind, betätigen. Auch das gehört zum Grundrechtsschutz des Wahlrechts. Die größte Gefahr für die Souveränität der Bürger und die Identität der Verfassung geht von der Parteienoligarchie aus, die unangefochten Parlament und Regierung beherrscht. Der Parteienstaat ist nicht die demokratische Republik, die das Grundgesetz verfaßt hat, sondern deren Verfallserscheinung. Die Abgeordneten sind rechtlich unabhängig, nicht aber faktisch. Sie machen sich vor allem aus Karrieregründen von den Parteiführern abhängig. Wem diese Gefolgschaft leisten, bleibt im Dunkeln. Die Abgeordneten sind fraglos gewählt, aber Wahlen allein sichern nicht die sittliche Vertretung der Bürgerschaft. Auch die freiheitliche Willensbildung des Volkes als Essentiale der Demokratie muß vom Verfassungsgericht geschützt werden, weitaus intensiver als bisher. Diese wird nicht gepflegt. Vielmehr wird mehr denn je die Bevölkerung durch Propaganda und Agitation gefügig gemacht. Diese darf nicht unter dem Deckmantel der Medienfreiheit von der Pflicht zur Wahrheit und Richtigkeit mehr als unvermeidlich abweichen dürfen. Der mediale Umgang mit der Integrationspolitik, die keinesfalls im Interesse der Völker ist, verfehlt die Aufgabe der Medien besonders krass. Aber das ist das Interesse der politischen Klasse. Längst wären sonst Volksabstimmungen über die großen Entscheidungen in der Europapolitik durchgeführt worden. Das Vertrauen in die politische Klasse, zu der viele der Medienverantwortlichen gehören, ist verlorengegangen. Aber das Bundesverfassungsgericht identifiziert nach wie vor im Leibholzschen Sinne die Mehrheitsbeschlüsse des Bundestages mit dem Willen des Volkes. Das ignoriert die zunehmende Bürgerferne der politischen Wirklichkeit. Die Beschlüsse des Bundestages sollten in stellvertretender Sittlichkeit die Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller Bürger auf der Grundlage der Wahrheit sein. Das können sie nur sein, wenn in das Erkenntnisverfahren die Bürger bestmöglich einbezogen werden. Das ist vor allem Aufgabe eines freiheitlich gestalteten Medienwesens. Davon kann allein schon wegen der Oligarchisierung in den Medien keine Rede sein. Diese eklatanten Schwächen der parteienstaatlichen Demokratie muß das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung in seine Rechtsprechung gerade zur Demokratie in Rechnung stellen. Es genügt nicht, die Integrationsverantwortung des Parlaments zu stärken, das die Souveränitätsverantwortung als die Verantwortung für die Freiheit der Bürger zugunsten einer Europaideologie vernachlässigt. Die Identifizierung von Parlament und Bürgerschaft wird mehr und mehr Fiktion. Das gefährdet den Frieden im Lande und bedroht zunehmend das beste Verfassungsgesetz, das Deutschland jemals hatte, das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht, selbst Teil der politischen Klasse, ist blind gegenüber den inneren Gefahren für die Freiheit. Es ist eingerichtet, um Widerstand zu erübrigen. Mit Urteilen wie dem vom 18. März wird es dieser Verantwortung nicht gerecht.
Den Vorhalt mangelnder Bestimmtheit des Art. 136 Abs. 3 AEUV hat das Gericht nicht gelten lassen: „Durch die Norm werden keine Hoheitsrechte übertragen. Sie regelt lediglich den Einsatz des Stabilitätsmechanismus, unterwirft ihn restriktiven Bedingungen und löst für sich genommen – unter dem Blickwinkel von Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG – keine die Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane sichernden Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm aus“ (182).
V 1) Die Kritik am ESM hat das Gericht noch einmal näher aufgegriffen, nachdem es in der Eilentscheidung bereits die äußersten Grenzen der vertraglichen Einlagepflichten Deutschlands gemäß Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV klargestellt hatte, nämlich insgesamt nicht mehr als etwa 190 Milliarden Euro (187). Eine weitergehende Hilfeleistungspflicht sei Deutschland bislang nicht eingegangen. Es bedürfte eines erneuten Beschlusses des Deutschen Bundestages, wenn der Gouverneursrat eine solche einfordere. So weit so gut. Wesentlich ist, daß das Gericht die Grenze äußerster Verpflichtung Deutschlands erst zu ziehen bereit ist, wenn die „haushaltspolitische Gesamtverantwortung“ des Bundestages praktisch „leerlaufen“ würde (auch 174, 184), weil die finanziellen Ressourcen des Landes ausgeschöpft seien. „Die absolute Höhe der Zahlungspflichten überschreitet nicht aus dem Demokratieprinzip allenfalls ableitbare äußerste Grenzen“ (183). Interpretationen des Vertragswortlauts, die „eine der Höhe nach unbegrenzte Zahlungspflicht“ auslösen könnten, seien in „völkerrechtlich verbindlicher Weise ausgeschlossen“, durch übereinstimmende Erklärungen der am ESM beteiligten Staaten auf Grund einer `Auflage` im Eilurteil des Gerichts (183, 188; BVerfGE 132, 195 (256 f., Abs. 147 ff.)). Dem Gesetzgeber räumt das Gericht „für diese unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgende Obergrenze“ „einen weiten Einschätzungsspielraum“ ein (174 f., 184). Die von Deutschland eingegangenen Zahlungspflichten insgesamt (das Gericht führt nur die Verpflichtungen aus der Eurorettungspolitik auf) seien „jedenfalls nicht evident fehlerhaft und daher vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen“ (185). Erst die evidente Fehlerhaftigkeit, welche die haushaltspolitische Gesamtverantwortung leerlaufen lasse, würde das Recht der Bürger auf Demokratie verletzen. Das ist denn wohl die Substanz dieser ständig im Urteil gebrauchten wenig bestimmten Formel.
2) Der ESM könne nicht gegen die Stimmen der deutschen Vertreter in den Organen entscheiden, so daß „der Legitimationszusammenhang zwischen dem ESM und dem Parlament unter keinen Umständen unterbrochen“ werde. Das erfordere eine „ununterbrochene Legitimationskette“ vom Volk zum Amtswalter und die „sachliche-inhaltliche Legitimation durch parlamentarische Vorgaben für das Verwaltungshandeln, Einfluß des Parlaments auf die Regierung und die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung“ in dem jeweils gebotenen „Legitimationsniveau“ (235). Dieses sei bei den Beschlüssen, die mit qualifizierter Mehrheit von 80% getroffen würden, gewährleistet, weil Deutschland über eine Sperrminorität verfüge und der deutsche Vertreter im zuständigen Organ des ESM durch Gesetz an die Beschlüsse des Bundestages gebunden werden könne (183, 190 f., 225 f.). Die Rechte des Deutschen Volkes hängen folglich an der Abstimmung eines Vertreters, meist des Finanzministers (dazu 240), im Gouverneursrat oder im Direktorium, meist ein Staatssekretär oder Ministerialbeamter (dazu 241). „Die verfassungsrechtlich geforderte Vetoposition Deutschlands“ könne auch im Falle des Beitritts neuer anderer Staaten zum ESM, welcher der Zustimmung des Bundestages zur Genehmigung des Beitrittsantrages bedürfe, durch Vertragsänderung gewahrt werden (192 f.). Diese herbei gezehrten Argumente sind dünn und verkennen die politischen Mechanismen von Rettungszwängen.
Eine Ausnahme mache die Aussetzung des Stimmrechts im Falle des Art. 4 Abs. 8 ESMV, wenn nämlich Deutschland den Kapitalabrufen nach Art. 9 ESMV (gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV) nicht „fristgerecht und vollständig“ nachkomme (183, 194 ff., 200). Der umfassende Stimmrechtsverlust (außer über Veränderung des genehmigten Stammkapitals), der die Verpflichtbarkeit eines Mitgliedstaates durch den ESM nicht unterbricht und zudem keinen wirksamen Rechtsschutz hat (197 f.), läßt die „innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Bundestages an den Entscheidungen der ESM-Organe leerlaufen“ und „unterbricht die demokratische Legitimation und Kontrolle der in diesem Zeitraum getroffenen Entscheidungen“ (199). Der auch nur vorübergehende, gegebenenfalls langdauernde Stimmrechtsverlust ist mit der Souveränität schlechterdings unvereinbar. Eine sachgerechte Rechtsfolge des Zahlungsausfalls wäre das Ausscheiden aus dem ESM. Einen Rückschritt der Integration aber will die Integrationspolitik unter allen Umständen vermeiden.
3) Die „Ausgabe von Anteilen des ESM zu einem vom Nennwert abweichenden Kurs“ und „das Risiko aus der Geschäftstätigkeit des ESM erwachsender finanzwirksamer Verluste“ würden die „haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages nicht gefährden“ (183, 215, 216 ff., 227 ff.). Für eine Ausgabe von Anteilen über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV bedürfe es keiner besonderen gesetzlichen Grundlage, weil der Einfluß des Bundestages in vielfältiger Weise gewahrt sei (230). „Eine Erweiterung der bestehenden Zahlungspflichten Deutschlands im Wege der Kapitalerhöhung“ bedürfe wegen der erforderlichen Einstimmigkeit im Gouverneursrat oder im Direktorium der „Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften“ (219 ff.). Es sei sichergestellt, „daß durch den ESM-Vertrag kein irreversibler Zahlungs- und Gewährleistungsautomatismus begründet wird“ (222). „Schließlich begründe der ESM-Vertrag keine unauflösbare Bindung Deutschlands“. „Der Austritt von Mitgliedstaaten ist trotz fehlender ausdrücklicher Regelung möglich“ (183, 222).
Das eigentliche Rechtsprinzip, die Souveränität als die Freiheit der Bürger, welche durch die Finanzierung fremder Staaten mißachtet wird, spricht das Gericht wiederum nicht an. Dieses Rechtsprinzip wäre auch mit dem Topos von der Identität des Verfassungsgesetzes Deutschlands zum Maßstab der staatswidrigen Hilfszusagen gemacht worden. Diese Identität erfaßt nach der Dogmatik des Gerichts den Kern des Grundgesetzes, der nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Aber das Gericht hat in diesem Urteil die störenden Rechtsprinzipien im Gegensatz zu der trefflichen Vorlage des OMT-Programms beim Europäischen Gerichtshof wegen der Verletzung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung `souverän` ignoriert.
4) Dafür beschäftigt es sich eingehend mit der haushaltlichen Sicherstellung der Kapitalleistungen Deutschlands nach Kapitalabrufen durch den ESM. Wenn diese zu erwarten seien, müsse das erforderliche Kapital, notfalls mittels Krediten, bereitgestellt werden. Ständige Beobachtung der Haushaltsentwicklung der anderen Mitglieder der Eurogruppe müsse sicherstellen, daß der Haushaltsgesetzgeber über die Möglichkeit von Kapitalabrufen informiert sei. „Der Gesetzgeber ist jedoch mit Blick auf die Zustimmung zu Artikel 4 Absatz 8 des Vertrages zur Einrichtung des ESM verpflichtet, haushaltsrechtlich durchgehend sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland Kapitalabrufen nach dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus fristgerecht und vollständig nachkommen kann“ (158). Das sei derzeit gewährleistet, wie das Gericht näher darlegt, und müsse durchgehend sichergestellt werden (183, 194, 204 f.). Das Gericht verbindet dieses Postulat mit lehrbuchhaften Ausführungen zum Recht der Haushaltsplanung (201 ff.). Wichtig aber ist die Klarstellung, daß die „haushaltsrechtliche Absicherung“ nicht mittels des „Notbewilligungsrechts in einem Nachtragshaushalt“ vorgenommen werden dürfe, weil die Verpflichtungen schon jetzt bekannt seien und das Parlament gemäß Art. 112 GG von der Mitwirkung an diesem ausgeschlossen sei (207 ff.). „Zeichnet sich (nach Prognose des Haushaltsgesetzgebers (211f.)) die Möglichkeit eines Kapitalabrufs gemäß Art. 9 ESMV ab, ist grundsätzlich die Aufnahme eines entsprechenden Ansatzes im Haushaltsplan geboten“ (209f.). Diese ebenso neuen wie seltsamen `Rechtspflichten`, werden dem Finanzminister die Vorlage eines verfassungsgeboten ausgeglichenen Haushalts arg schwer machen. Die Beobachtung und Bewertung der Haushaltsentwicklung fremder Staaten ist nicht Aufgabe eines Staates, weil es nicht Staatsaufgabe ist, den Haushalt fremder Staaten zu finanzieren. Derartige Kontrolle ist als Intervention eine völkerrechtlich bedenkliche Souveränitätsbeeinträchtigung. Sie sucht eine Rechtfertigung in der Aufgabe, die gemeinsame Währung zu stabilisieren, wie das in Art. 136 Abs. 3 AEUV jetzt angelegt ist. Gerade diese Notwendigkeit, die sich aus dem Fehlgriff einer Einheitswährung ohne optimalen Währungsraum ergibt, ist ein weiteres Argument gegen den währungspolitischen Systemwechsel zum Bail-Out fremder Staaten.
Das Gericht erkennt durchaus, daß die laufenden Steuereinnahmen dafür nicht ausreichen werden, schon gar nicht derart kurzfristig, wie der ESM-Vertrag es vorschreibt, daß Deutschland also die Mittel nicht hat. Demgemäß „ermächtigt § 1 Abs. 2 Satz 1 ESMFinG den Bundesminister der Finanzen –gestützt auf Art. 115 Abs. 1 GG -, für das abrufbare Kapital des ESM in Höhe von etwa 168 Milliarden Euro „Gewährleistungen“ zu übernehmen (206), also Kredite aufzunehmen. Das kann teuer werden.
Die aus dem Vertrag abgeleitete mittelbare Verpflichtung zur Kreditaufnahme, um fremde Staatshaushalte zu finanzieren, ist wiederum staatswidrig und verletzt zudem das Grundgesetz explizit, weil dadurch entgegen der verfassungsgesetzlichen Verpflichtung zur Schuldenbegrenzung, ja zum Schuldenabbau, aus Art. 115 Abs. 2 und Art. 143 d GG eine Vertragspflicht zur Verschuldung begründet ist. Ganz davon abgesehen, daß Deutschland dadurch die wirtschaftliche Stabilität einbüßen wird, ist das auch eine Verpflichtung, die innerdeutschen Staatsausgaben derart zu reduzieren, daß Deutschland überhaupt die Schuldentragfähigkeit wahrt. Auch diese ist nicht unbegrenzt. Das wird, sollte es praktisch werden, die Sozialhaushalte empfindlich belasten, aber die irregeleitete Europolitik auch veranlassen, die privaten Vermögen der Deutschen in Anspruch zu nehmen. Schließlich werden allein deren Nettogeldvermögen auf gut drei Billionen Euro veranschlagt. Dieses Vermögen dürfte die Begehrlichkeit der Politik seit langem geweckt haben und scheint mir die eigentliche Zugriffsmasse der wahnwitzigen Eurorettungspolitik zu sein.
Vom Bundesverfassungsgericht ist gegen Eingriffe in das Vermögen wenig Schutz zu erwarten, wenn Eingriffe erforderlich erscheinen, um das Gemeinwohl zu retten, das von der integrationsversessenen politischen Klasse in der Einheitswährung gesehen wird. Gegen Eingriffe in das Vermögen weigert sich das Gericht, den Grundrechtsschutz der Eigentumsgewährleistung zu aktivieren, obwohl das fraglos Enteignung ist. Freilich werden die inflationär aufgeblähten Vermögen schnell schmelzen, wenn die Rettungsmaßnahmen virulent werden. Immerhin hat das Gericht seine langjährige krasse Ablehnung jeden Eigentumsschutzes des Geldwertes in Absatz 131 des Urteils relativiert: „Der Geldwert ist in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsabhängig. Es ist regelmäßig nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen auf negative Folgewirkungen für die Geldwertstabilität zu überprüfen. Eine solche Kontrolle kommt allenfalls in Grenzfällen einer evidenten Minderung des Geldwerts durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in Betracht. Tatsachen, die zu einer solchen Kontrolle Anlass geben könnten, sind nicht vorgetragen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG)“.
Weil der ESM die Eurorettung nicht wirklich erwarten ließ und läßt, hat sich längst vertrags- und verfassungswidrig die Europäische Zentralbank (EZB) zum eigentlichen Euroretter aufgeschwungen, zum lender of last resort.
5) Die im ESM-Vertrag geregelte Schweigepflicht und Immunität der Organmitglieder und Mitarbeiter, eine trotz aller Vorbilder in völkerrechtlichen Organisationen, zumal im Internationalen Währungsfonds, eine Ungeheuerlichkeit, relativiert das Gericht wie schon in der Eilentscheidung dahin, „daß sie einer hinreichenden parlamentarischen Kontrolle des ESM durch den Deutschen Bundestag nicht entgegenstehen (213f., 242). Auch die Bürger und Wähler wollen über die Kosten, welche der ESM ihnen macht, informiert sein und haben ein Recht darauf. Das Recht auf größtmögliche Information folgt aus dem demokratischen Prinzip eines freiheitlichen Gemeinwesens, einer Republik. Die Arkanität des ESM, die sich in Regierung und Parlament fortsetzen wird, ist nicht gerechtfertigt, wenn es nicht nur um das Geld der Steuerzahler, sondern um das Schicksal des Landes geht.
VI Die Verfassungsbeschwerde gegen den Fiskalpakt hat das Gericht nicht ernst genommen und abgewiesen, weil die Vertragsvorschriften im Einzelnen nicht substantiiert angegriffen worden sein. Das ist nicht richtig, wie ein Studium der Beschwerdeschrift ergibt. Vor allem aber gehört der Fiskalpakt zu dem gesamten Vertrags- und Regelungswerk, das vor allem wegen der engen haushaltsrechtlichen Vorschriften für die Mitglieder der Eurogruppe und der dichten Haushaltskontrolle derselben durch die Union, die einer typisch bundesstaatlichen Aufsicht gleichkommt, allemal die Grenze zum Unionsbundesstaat überschritten hat. Das war vorgetragen, aber diese Grenzüberschreitung wollte das Gericht keinesfalls zur Kenntnis nehmen; denn die zwingende Rechtfolge, die Verfassungswidrigkeit der Mitgliedschaft Deutschlands in dieser Union, wäre das Ende der EU. Die aber wird wie ein Heiligtum geschützt, solange bis die Einsicht in den Irrglauben an das Heil dieses Großprojekts sich durchgesetzt hat, sprich, gegen die politische Klasse und deren Helfershelfern vor allem in den Medien sich durchzusetzen die Kraft hat. Das ist erst nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Mitgliedstaaten zu erwarten, hoffentlich nicht in einem Krieg, den die Finanzoligarchie im Interesse der Rüstungsindustrie und der Kreditwirtschaft vom Zaune zu brechen sich anzuschicken scheint.
Die Entschuldungspflichten des Fiskalpaktes sind eine deutliche Souveränitätsverletzung, zumal sie auch dem Grundgesetz widersprechen. Aber diese Aspekte des völkervertraglichen Oktrois haben das Gericht nicht zum Schutz der Identität des Grundgesetzes und der Souveränität der Bürger Deutschlands zu bewegen vermocht. Das Gericht hat gegen den Fiskalpakt keinerlei Einwände gelten lassen, insbesondere weil die Kommission nicht befugt werde , „an die Parlamente konkrete Vorgaben für die Gestaltung des Haushaltes zu richten“ und der Europäische Gerichtshof „die Anwendung der Korrekturmechanismen nicht kontrollieren“ könne (243 f.). Der Fiskalpakt ist ein stumpfes Schwert und hat bislang keinerlei Wirkung entfaltet. Aber er ist ein Element des weit entwickelten Unionsbundesstaates. Immerhin sei die Vertragsbeendigung auch ohne ausdrückliches Kündigungsrecht möglich, stellt das Gericht klar (245).
VII Die Begleitgesetzgebung, das Gesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des ESM und das ESM-Finanzzierungsgesetz, hat das Bundesverfassungsgericht in verfassungskonformer Auslegung passieren lassen (223 ff.). Diese Gesetze stellen „vermittelt über die Bundesregierung“ sicher, daß „der Bundestag bestimmenden Einfluß auf das Handeln des ESM ausüben kann und hierdurch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung sowie die Integrationsverantwortung wahrzunehmen in der Lage ist“, und zwar „im Hinblick auf seine Informationsrechte (224, 231 f.) und die personelle Legitimation der deutschen Vertreter in den Organen des ESM“ (224, 233 ff.). Das Gericht wiederholt seine Begründungen zur Rechtfertigung der Verträge (225 ff.).
VIII 1) Besonders folgenschwer ist es, daß das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden gegen die automatisierten Zahlungsverrechnungen des Systems der Europäischen Zentralbanken (ESZB), also gegen das TARGET2-System (Trans-europäisches automatisiertes Echtzeit-Brutto-Express-Zahlungsverkehrssystem), als unzulässig abgewiesen hat (Absätze 136 ff.). Hans-Werner Sinn hat die Finanzierung der einen Eurostaaten durch die anderen mittels dieses Systems dargelegt und dessen Effekte Euro-Bonds gleicherachtet, „ein Faß ohne Boden“. TARGET2 hat die Wirkung eines Bail-outs, freilich automatisiert durch die Verrechnungstechnik, ohne jede weitere politische Entscheidung und somit für alle Zentralbanken des ESZB und damit deren Staaten unentrinnbar. TARGET2 beruht auf verschiedenen Leitlinien der EZB. Es ist in keinem Vertrag vorgesehen.
Über die Handhabung der Verluste aus TARGET2 für die Staaten mit Handelsüberschüssen, insbesondere Deutschland in Höhe von vielen Hunderten vom Milliarden Euro, kann man streiten, jedenfalls führen die Verluste der EZB aus der Abschreibung der Kreditforderungen gegen die TARGET2-Schuldner zu Gewinneinbußen und damit Kürzungen der Gewinnausschüttungen an die nationalen Zentralbanken und damit deren Staaten.
Weiterhin blähen die Zahlungen mittels monetärer Kreditschöpfung ohne realwirtschaftliche Leistung die Geldmenge auf und bilden dadurch Inflationspotenzial zu Lasten aller Teilnehmer an der Einheitswährung. Dieses kann zu schweren Verwerfungen der Volkswirtschaften mit den dadurch verursachten haushaltlichen Fehlentwicklungen führen. Am Vermögensmarkt ist die Inflation nicht mehr zu leugnen. Allein die schwere rezessionsbedingte Deflation in den Defizitländern der Eurogruppe täuscht eine relativ stabile Währung vor. Das trägt wesentlich dazu bei, daß die Strukturmängel dieser Volkswirtschaften nicht behoben werden und daß diese Staaten die Einheitswährung nicht aufgeben, damit sie ihre Wirtschaft durch global wirkende Abwertung beleben können. Die monetäre Finanzierung der Haushalte dieser Staaten ist Staatsfinanzierung durch das ESZB. Zudem finanziert das ESZB auch die Unternehmen und Banken mittels der monetären Kredite. Diese Zusammenhänge sind, angelehnt an die Forschungsergebnisse von Hans-Werner Sinn und dessen Team, in der Beschwerdeschrift gegen das TARGET2-System näher dargelegt.
2) Das Gericht hat sich darauf nicht ernsthaft eingelassen, bereits in der mündlichen Verhandlung am 11. und 12. Juni 2013 nicht. Es war nicht bereit, den Bürgern gegen dieses System Grundrechtsschutz aus dem Recht auf Demokratie zu geben, geschweige denn aus dem Recht auf allgemeine Freiheit oder aus der Eigentumsgewährleistung. Das TARGET2-System entzieht dem Deutschen Bundestag die Entscheidungen über die Haushaltsfinanzierung der hilfsbedürftigen in der Einheitswährung verbundenen Staaten und damit Entscheidungen mit haushaltspolitischer Relevanz gänzlich. Die Finanzierungswirkung von TARGET2 unterscheidet sich nur in der Technik von der durch den ESM. Aber die Technik schließt die Parlamente wie auch die Regierungen von den Entscheidungen aus. Diese hat allein die EZB getroffen, die das System eingerichtet hat. Die Finanzierungswirkungen von TARGET2 mittels monetärer Kredite kann keinem Mitglied des Zentralbankrates verborgen geblieben sein, ganz im Gegenteil, wegen dieser Wirkungen dürfte das System geschaffen worden sein, das nur tragfähig ist, wenn die Handelsbilanzen aller beteiligter Staaten ausgeglichen sind. Die Fehlentwicklung und damit die illegale Staatsfinanzierung sind längst aufgedeckt. Folglich hätte das automatische Finanzierungssystem eingestellt werden müssen.
Wenn nicht schon die Einrichtung des TARGET2-Systems eine Maßnahme der EZB war, welche deren Vertragsbefugnisse überschritten hat, also eine Maßnahme ultra vires, so war es die pflichtwidrige Unterlassung, das System einzustellen. Das hat sich das Bundesverfassungsgericht geweigert festzustellen. Es läßt offen, ob es überhaupt Grundrechtschutz gegen Maßnahmen der EZB zu geben bereit ist, weil dies keine Maßnahmen der deutschen öffentlichen Gewalt seien (so BVerfGE 129, 124 (175 f.)), aber es erwägt auch nicht ernsthaft, gegen die Beteiligung der Deutschen Bundesbank an diesen Maßnahmen Grundrechtschutz einzuräumen. Es sieht durch das TARGET2-System das Recht der Bürger auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 GG nicht beeinträchtigt, obwohl den Bürgern und Wählern der mittelbare Einfluß durch ihre Abgeordneten auf die automatisierte Finanzierung fremder Staaten genommen ist. Jedenfalls hätten die Beschwerdeführer zu II., wir also, nicht „hinreichend substantiiert dargelegt, daß sie in eigenen Rechten verletzt werden“ und „nicht aufgezeigt, auf welche Weise und in welchem Umfang von der Durchführung des TARGET2-Systems eine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ausgehen könnte“ (139). In unserer Beschwerdeschrift ist S. 117 ff. nicht nur das TARGET2-System ausführlich dargestellt, sondern auch dessen Verstoß gegen das Ultra-vires-Verbot, vom Gericht durchaus bemerkt (141), und das Verbot von Finanzierungsautomatismen, auf die der Bundestag keinen Einfluß zu nehmen vermag, vor allem mittels des Vergleichs zu Euro-Bonds. Beides sind nach der Rechtsprechung des Gerichts Verletzungen des Anspruchs auf Demokratie. Dieses Verbot hat das Gericht in dem Urteil zur Griechenlandhilfe und zum vorläufigen Rettungsschirm vom 7.September 2011 entwickelt (BVerfGE 129, 124 (180, Abs. 127 f.) und jetzt wiederholt (164, 222).
Der Vortrag ist im Schriftsatz vom 13. November 2012 S. 12 ff. vertieft worden. Die Beschwerde hat besonderes Gewicht auf das Verbot, fremde Staaten zu finanzieren, gelegt. Dieses Verbot ist allemal Teil der „haushaltspolitischen Gesamtverantwortung“, welche das TARGET2- System dem Parlament aus der Hand windet. Der Eindruck, daß das Gericht diese für die europäische Integration existentiellen Fragen nicht in der Sache entscheiden wollte, läßt sich nicht recht abwehren. Der Berichterstatter wird sicher die Schriftsätze aufmerksam gelesen haben. Im übrigen ist über die Wirkungsweise und die haushaltlichen Folgen von TARGET2 in der mündlichen Verhandlung ausführlich debattiert worden. Die ökonomische und politische Wirkung unterscheidet sich demokratierelevant nicht von den Maßnahmen des ESM, welche das Gericht zu Recht eng parlamentarischer Kontrolle unterwirft. Hätte freilich das Gericht das TARGET2-System unterbunden, wäre die Einheitswährung Euro in die Geschichte entlassen worden. Allerdings hätte das Bundesverfassungsgericht auch diese Maßnahme nicht anders als das OMT-Programm dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen müssen, weil es sich um eine Maßnahme eines Unionsorgans, der EZB, handelt, die zunächst einmal Unionsrecht verletzt.
Der Fortbestand des TARGET2-Systems scheint die Finanzierung der Staatshaushalte und auch der Unternehmenshaushalte der finanzschwachen Länder zu retten, aber das dürfte wieder nur ein Zeitgewinn sein. Die dauerhafte leistungswidrige Finanzierung mittels monetärer Kredite dürfte kein Wirtschaftssystem aushalten. Für die neue Lage gibt es keine Erfahrungen, welche den Volkswirten Blaupausen für ihre Prognosen geben könnten. Das kommt der EZB mit ihrem von Goldmann-Sachs geschulten Präsidenten zu Gute.
3) Das Gericht hat sogar erwogen und zur Sprache gebracht, ob die Verfassungsbeschwerden gegen das TARGET2-System verfristet seien, weil die zugrundeliegende EZB-Leitlinie aus dem Jahr 2007 älter als ein Jahr war (137 f.), ein dem bloßen Wortlaut des § 93 Abs. 3 BVerfGG verhaftetes, in der Sache absurdes Argument. Konnte doch, solange die Zahlungsbilanzen der Teilnehmer ausgeglichen waren, niemand die staatsfinanzierenden Wirkungen des Systems erfassen, schon gar nicht die Bürger, die nicht verpflichtet sind, mit allen Raffinessen eines Zentralbanksystems, zumal mit neuen Einrichtungen, vertraut zu sein. Immerhin hat sich das Gericht die Blamage dadurch erspart, daß es auch die Beibehaltung der Einrichtung als mit der Verfassungsbeschwerde angreifbare Maßnahme hat genügen lassen.
VIII Auch die Beschwerde gegen die Refinanzierung von Geschäftsbanken durch die EZB ohne hinreichende Sicherheiten habe dem Gericht allzu „pauschal“ unterbreitet, daß die EZB „ungeeignete Sicherheiten akzeptiere“. Diese Praxis ergab sich aus den Beschlüssen der EZB und war Allgemeinwissen. Sie wäre mittels einer Sachaufklärung durch das Gericht weiter substantiiert worden. Aber das Gericht hat die Ausrede unzureichenden Beschwerdevortrags gesucht, um der heiklen, wohl im Senat streitigen, Frage aus dem Weg zu gehen, ob auch Handlungen von Unionsorganen, also „nicht deutscher“ Organe, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden dürfen, nachdem es das im Urteil zur Griechenlandhilfe und zum vorläufigen Rettungsschirm vom 7. September 2011 (BVerfGE 129, 124 (175 f.)) entgegen der früheren Praxis in Abrede gestellt hatte (dazu mein Schriftsatz vom 13. November 2012, S. 2 ff.)
IX Die Verfassungsbeschwerde gegen die von der Europäischen Union mit sechs sekundärrechtlichen Rechtsakten (Sixpack) geschaffene Wirtschaftsregierung hat das Bundesverfassungsgericht damit abgetan, daß Beeinträchtigungen des Rechts auf Demokratie nicht substantiiert vorgetragen worden seien (144 ff.). Mit dem Vortrag, daß diese Rechtsakte „das Wahlrecht der Deutschen entleeren würden, weil die Wähler nicht länger über ihr wirtschaftliches Schicksal bestimmen könnten“, „legen die Beschwerdeführer zu II. eine Verletzung in ihrem Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG weder unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Verfassungsidentität noch unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Reaktionspflichten deutscher Staatsorgane auf qualifizierte Ultra-vires-Akte dar. Die pauschale Behauptung, die sechs Sekundärrechtsakte des Sixpack begründeten eine Wirtschaftsregierung der Europäischen Union, genügt weder zur Darlegung einer Entleerung des Wahlrechts durch Verlust unverzichtbarer Entscheidungsbefugnisse des Deutschen Bundestages noch zur Darlegung eines etwaigen Anspruchs auf Feststellung eines Ultra-vires-Handelns der Europäischen Union“. Es bleibe „offen, weshalb der Deutsche Bundestag durch die Umsetzung der angegriffenen Regelungen daran gehindert werden könnte, eigenständige wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen“ (145 f.). Es ging jedoch darum, noch einmal mehr darzulegen, daß die Union durch ausbrechende Rechtsakte weiter zum Bundesstaat entwickelt worden sei, der nunmehr auch im relevanten Maß die Wirtschaftshoheit der Mitgliedstaaten übernommen habe, in dem Maß nämlich, daß mit der Souveränität der Völker nicht mehr vereinbar ist. Darauf ist das Gericht wiederum nicht eingegangen.
X Nicht anders hat das Gericht die Verfassungsbeschwerde gegen den Euro-Plus-Pakt erledigt (148), obwohl dieser nach unserem Vortrag „einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer mit der Souveränität des Deutschen Volkes unvereinbaren Schulden- und Finanzunion darstellt“.
XI Im Verfahren waren weitere nicht auch von meiner Beschwerdeführergruppe erhobene Verfassungsbeschwerden, etwa gegen die formelle Verfassungswidrigkeit des ESM-Finanzierungsgesetzes oder dagegen, daß an bestimmten Maßnahmen des ESM lediglich der Haushaltsausschuß und nicht das Plenum des Bundestages mitwirken solle, die auch als unzulässig verworfen worden sind.