Interview für KOPP-Nachrichten
Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder haben sich auf ein umfassendes Hilfspaket für Griechenland geeinigt. Das teilte Frankreichs Staatsprä-sident Sarkozy in Brüssel mit. Das Paket soll ein Gesamtvolumen von 109 Milliarden Euro haben. Private Gläubiger sollen sich laut dem Abschlussdokument des Gipfels mit 37 Milliarden Euro beteiligen. Fragen an Herrn Prof. Schachtschneider: Alle europäischen Staatschefs scheinen erleichtert, die Presse auch, sie jubelt, der Kurs des Euro ist um zwei Cent gestiegen, ist das also eine gute Nachricht? Keinesfalls. Die irregeleitete Eurorettungspolitik wird mit den Mitteln fortgesetzt, die sich als wenig hilfreich erwiesen haben. Es werden weiter große Gelder eingesetzt, um die Insolvenz Griechenlands abzuwehren, letztlich zugunsten der Gläubiger, der Ban-ken, Versicherungen usw. Die „Beteiligung“ der Gläubiger begünstigt diese; denn deren Forderungen werden gegenüber dem derzeitigen Markwert um etwa 80% aufgewertet und von allen Euroländern, also vor allem Deutschland, gesichert. Sie waren ja fast wertlos und nach Markgesetzen wären die Gläubiger weitgehend ausgefallen, auch die griechischen Gläubigerbanken.
Ist Griechenland damit gerettet? Sicher nicht. Die fundamentale Divergenz Griechenlands zu Deutschland und anderen leistungsstärkeren Euroländern wird dadurch nicht behoben. Es ist auf mittlere und lange Sicht unmöglich, einen optimalen Währungsraum mit Griechenland und den ande-ren wettbewerbsschwachen Ländern im Süden Europas durch Bezahlung von deren Schulden zu schaffen. Die für eine Einheitswährung notwendige Homogenität der Volkswirtschaften ist letztlich eine kulturelle Aufgabe, welche die Griechen allein lösen müssen. Sie müßten dafür deutsch oder asiatisch werden – ein fragwürdiges Unterfangen. Nach ersten Informationen sieht der Plan vor, dass eine vorübergehende offizielle Pleite des Landes hingenommen wird, wogegen sich das Land zuvor noch gewehrt hatte. Was bedeutet das jetzt für Griechenland und Europa? Die Bewertung der Ratingagenturen macht keine „Pleite“ aus. Der Zahlungsausfall beseitigt Griechenland und die Griechen nicht. Ein Staat ist kein insolvenzfähiges Un-ternehmen. Wenn Griechenland seine Schulden nicht bezahlt, ist das ein Problem für die Gläubiger, deren Risiko sich realisiert. Es ist auch ein Problem für den Euro, weil sein Scheitern Realität ist. Aber das ist eine Chance für Europa, das sich dann von einem Projekt lösen muß, jedenfalls sollte, das unermeßlichen Schaden für die Unionsbürger anrichtet, dessen Zweck ein Großstaat Europa ist, der nicht demokratisch, nicht recht-staatlich und nicht sozial sein wird. Für die Griechen wären der Hair-cut und die eigene (abgewertete) Währung die Chance zum Neuanfang einer ihren Verhältnissen angemessenen Wirtschaft. Freilich wäre der geborgte Wohlstand, der seine Fragilität erwiesen hat, beendet. Die Griechen könnten sich auch der alle Lebensverhältnisse bestimmenden Korruption entwinden und ihre Würde zurückgewinnen. Um die Ansteckungsgefahr eines solchen, bisher als hochriskant betrachteten Schrittes zu bannen, soll der Euro-Rettungsfonds EFSF mehr Hilfsmöglichkeiten bekommen. Im Gespräch war etwa der Aufkauf von Staatsanleihen verschuldeter Länder am Sekundärmarkt durch den EFSF – für die Bundesregie-rung war das bisher ein Tabu. Wer hat hier wen über den Tisch gezogen? Bisher hat die Europäische Zentralbank die Staatsanleihen übernommen, entgegen dem Vertrag, entgegen ihrem Statut, entgegen unserer Verfassung. Das will sie nicht mehr, weil es sie auf Dauer vernichten würde. Keinesfalls genügt das ihrem Stabilitätsauftrag. Die EFSF wird jetzt zur Nebenbank gemacht – mit nicht tragbaren Risiken für deren Mitglieder, zumal Deutschland. Es ist nichts anderes als Verlagerung der Schulden nicht zahlungsfähiger Euroländer auf die Europartner, die noch ein gutes Rating haben und damit die Finanzmärkte zufriedenstellen – noch. Bezahlen können diese, also vor allem wir, die Schulden auch nicht. Der Zusammenbruch der Währung ist unausweichlich und kommt durch die Beschlüsse von Brüssel am 21. des Monats schnell näher. IFO-Chef-Sinn spricht von Erpressung. Wer setzt hier wen unter Druck? Die Finanzmärkte üben den Druck aus und bestimmen die Politik. Die Eurointegratio-nisten sind Gefangene ihre Ideologie, ihres Europawahns. Die wichtigsten Politiker Deutschlands sind der Schweizer Josef Ackermann und der Franzose Nicolas Sarkozy. Das Argument der Systemrelevanz von Geldhäusern und Euroländern ist an den Haaren herbeigezogen. Keinesfalls ist es ein Rechtsprinzip. „Erpreßt“ werden die Völker von ihren Regierungen. Das ist nur möglich, weil sich die Europäische Union und ihre Mit-gliedstaaten weit von der Demokratie entfernt haben. Es hat schon viele „Staatspleiten“ gegeben, zuletzt Rußland und Argentinien. Beide Länder sind danach gut vorangekom-men. Was bedeutet diese Entscheidung für Deutschland? Wir nähern uns noch schneller dem Zusammenbruch der Währung, also der Währungsreform, die alle Deutschen, ob arm oder reich, teuer zu stehen kommen wird. Die Vermögen werden minimiert, die Löhne, Renten, Sozialleistungen stark gekürzt werden. Das wird zur politischen Instabilität führen. Bürgerkriegsähnliche Kräfte bereiten sich längst auf diese Lage vor. Sie nennen sich Antifa. Sie haben beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen den Stabilitätsme-chanismus erhoben und unzählige Punkte aufgezählt, die nach Ihrem Ermessen gesetzeswidrig sind. Gegen welche Gesetze wurde heute in Brüssel verstoßen? Die Maßnahmen verstoßen zunächst gegen die vertraglichen Regelungen der Währungsunion, gegen das Bail-out-Verbot des Art. 125 AEUV und gegen die disziplinären Haushaltsbestimmungen des Art. 126 AEUV, insgesamt die Konstruktionsprinzipien der Währungsunion. Sie verletzen weiterhin das Grundgesetz, nämlich das Stabilitätsprinzip, das aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und der Eigentumsge-währleistung des Art. 14 Abs. 1 GG folgt, weiterhin die Haushaltsverfassung der Art. 110, 115 Abs. 2 GG (Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben ohne Kreditaufnahme), und drittens die Schuldenbremse des Art. 115 Abs. 2 GG; denn ohne Kreditaufnahme der Geberstaaten können die Nehmerstaaten nicht finanziert werden. Schlimmer noch, die Zusagen mißachten das Staatsprinzip im Kern. Die Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten wird überspielt. Danach darf jedenfalls unser Staat nicht fremde Staaten auf Kosten des eigenen Volkes finanzieren. Zudem sind die Maßnahmen funktional bundes-staatlich, ohne daß ein europäischer Bundesstaat begründet wäre. Ein Unionsvolk ist nicht verfaßt. Das würde die Zustimmung der Völker durch Referenden voraussetzen. Die Übernahme der Gläubigerrisiken, eine große unendgeldliche Zuwendung, hat weder eine Rechtsgrundlage noch ist sie nach Staatsprinzipien zu rechtfertigen, zumal es weit-gehend Risiken von Banken usw. fremder Staaten sind. Diese Rettungspolitik ist rechtlich betrachtet eine Ungeheuerlichkeit. Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat werden ausgeblendet. Zugleich werden die Grundrechte der Bürger verletzt, das Recht auf Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG, das aus der politischen Freiheit folgt, das Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und das Recht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG. Die Verfassung der Deutschen wird im Kern ihrer Identität mißachtet. Das ist ein langgezogener Staatsstreich, der die Widerstandslage im Sinne des Art. 20 Abs. 4 GG geschaffen hat. Ist die Eurokrise mit all den taumelnden Ländern wie Irland, Portugal, Spanien, Belgien, ja und auch Frankreich, das auch nicht mehr kreditwürdig ist, je zu beenden und wie? Es gibt nur eine Weg: Die Beendigung der Währungsunion. Sie ist gescheitert und muß liquidiert werden. Jedenfalls muß Deutschland ausscheiden. Das steht schon im Maastricht-Urteil von 1993. Die Staaten der Union müssen ihre Eigenständigkeit in Wirt-schaft und Währung zurückholen. Sie sind dazu verpflichtet. Die europäische Zusam-menarbeit muß gänzlich neu konzipiert werden, so daß die Völker ihre schicksalhafte Selbständigkeit wahren. Auf der Grundlage nationaler Selbstbestimmung, wie dies der Charta der Vereinten Nationen entspricht, kann und sollte ein europäisches Europa ge-schaffen werden, ein „Föderalism freier Staaten“, wie Kant das in seiner Friedensschrift angeregt hat, das l´europe des etats im Sinne de Gaulles. Daraus könnte ein Europa des Friedens und des Wohlstandes werden.
Berlin, 23. Juli 2011