Kant – Vater des Grundgesetzes und die Verfassungswirklichkeit in Deutschland
Kant – Vater des Grundgesetzes und die Verfassungswirklichkeit Deutschlands
Karl Albrecht Schachtschneider
Vortrag – Kiel
Kant (1724 bis 1804) hat die Aufklärung vollendet. Seine Erfahrung war die Französische Revolution (1789). Jean- Jacques Rousseau (1712 bis 1778) hat ihn beeinflußt.
1. Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG)
Kant: Die „Idee der Würde“ ist die „eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt“ (GzMdS, 67). „Die Würde ist die Menschheit des Menschen und damit die Autonomie des Willens“ (GzMdS, 87 ff.; KpV, 218)
BVerfG: „Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen“ (BVerfGE 27, 1 (6), Mikrozensus; st. Rspr.). Würde des Menschen verpflichtet den Staat, jedem, der den Fuß auf deutschen Boden setzt, das Existenzminimum für das Leben zu geben. Das Existenzminimum bemißt sich nach den Sozialleistungen, die in Deutschland den bedürftigen Bürgern gewährt werden.
KAS: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ist kein Grundrecht. Absatz 3 des Art. 1 GG spricht von den „nachfolgenden Grundrechten“. Die Folge der Materia-lisierung des Würdebegriffs ist wegen der finanziellen Sogwirkung auf Zuwanderer das Ende Deutschlands. Ein Anspruch auf das Existenzminimum folgt aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Das Recht auf Leben hat einen Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG). Das ‚Bürgergeld‘ geht über das Existenzminimum hinaus. Den Zuwanderern muß das Leben ermöglicht werden Das Bürgergeld geht über den Bedarf hinaus. Die gleichheitsrechtlichen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG stehen einer unterschiedlichen Versorgung der Bürger Deutschlands und der Zuwanderer nicht entgegen. Die unterschiedliche Behandlung ist vor allem gerechtfertigt, weil die Zuwanderer das Land zu verlassen haben. Sie sind nur geduldet. Das ist keine Diskriminierung.
2. Freiheit und Herrschaft (Art. 1 Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG)
Kant: Die „Freiheit, auf der alles Recht gründet“, ist eine Idee (transzendentale Kausalität; zur Dritten Antinomie, KrV, 321 ff., 327 ff., 426 ff., 492 ff., 671 ff.; GzMdS, 82 ff.; KpV, 217 ff., 230 ff.). „Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, …“ (GzMdS, 83).
„Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüng-liche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“ (MdS, 345). Das ist die äußere Freiheit.
Zur Freiheit als die Autonomie des Willens siehe zu 4.
Die innere Freiheit ist die Sittlichkeit, deren Gesetz das Sittengesetz, der kategorische Imperativ ist (dazu 3)
Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit sind eine Einheit (MdS, S. 432 ff.; ÜdG, S. 150 ff.).
BVerfG: „Die Ausübung der Staats¬gewalt durch die Organe des deutschen Volkes ist staatliche Herr¬schaft“. (BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (72), 95, 1 (15)). Das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ist die Handlungsfreiheit. Der Gesetzgeber darf die Grundrechte durch Gesetze einschränken. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG sind „die Rechte anderer, die verfas-sungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz“. Die politische Freiheit der Bürger ist durch Art. 2 Abs. 1 GG nicht geschützt. Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und Schutzpflichten des Staates aus demselben Grundrechtstext. Abwehr und Schutz werden gegeneinander nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips abgewogen. Der Wesensgehalt der Grundrechte ist unantastbar (Art. 19 Abs. 2 GG). Der bemißt sich nach der materialisierten Menschenwürde.
KAS: Herrschaft ist das Gegenteil von Freiheit. Freiheit ist die Würde des Menschen. Sie wird durch die Grundrechte in unterschiedlicher Weise geschützt. Gesetze verwirklichen die Frei-heit. Sie definieren die Freiheit als deren Grenze. Politische Freiheit ist die Bürgerlichkeit des Bürgers. Der Wesensgehaltsschutz nach Maßgabe der Menschenwürde ist der Willkür des BVerfGs ausgesetzt.
Abwehrrechte und Schutzpflichten auf dieselben Grundrechte zu stützen, erzwingt die Abwägung zwischen dem Abwehr- und dem Schutzzweck und nimmt den Grundrechten den subsumible Materie. Es bleibt dezisionistische Politik des BVerfGes, die nicht vom Gesetz-geber demokratisch legalisiert ist. Das Gericht mißt die Richtigkeit seiner Politik am Verhält-nismäßigkeitsprinzip (Legitimität der Maßnahme, deren Geeignetheit und Notwendigkeit, den Zweck der Maßnahme zu erreichen, das rechte Maß derselben). Mit dieser Judikatur ermächtigt sich das Gericht zur selbstbestimmten Sachlichkeit, die sich nicht Gesetzen unterwirft. Es verletzt das demokratische und das Rechtsstaatsprinzip, zumal die Gewaltenteilung. Das ist formal Willkür. Die Grundrechte sind damit beseitigt. Schutzpflichten erwachsen dem Sicher-heitszweck des Staates. Das Gericht hat zu prüfen, ob die Schutzmaßnahmen die grundrechtsgeschützten Rechte verletzen. Es ist an deren Texte gebunden.
3. Sittengesetz und Moral (Art. 2 Abs. 1 GG)
Sittengesetz ist die universalisierte Fassung der biblischen lex aurea (GzMdS, 25; KpV, 113; MdS, 586 ff.): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; denn ich bin der Herr“ (3. Mose 19,18).
„Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxi¬me, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. – Jede Maxime, die sich hiezu nicht qualifiziert, ist der Moral zuwider. Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, der auf nichts anderes, als bloß auf Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei ge¬nannt werden, weil er nicht auf Hand¬lungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzge¬bung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlech¬terdings notwendig und selbst keiner Nötigung fähig ist. Nur die Willkür also kann frei genannt werden.“ (MdS, 332).
Der „positi¬ve Begriff“ der „freien Will¬kür“/der „Freiheit der Will¬kür“ ist „das Ver¬mögen der rei-nen Ver¬nunft, für sich selbst prak¬tisch zu sein. Dieses ist aber nicht anders möglich, als durch die Unter¬wer¬fung der Ma¬xime einer jeden Handlung unter die Bedin¬gung der Tauglich¬keit der er¬steren zum allge¬meinen Geset¬ze“ (MdS, 318, 519).
Das Sittengesetz ist der Kategorische Imperativ
die deontische Formel: „…: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GzMdS, 51), oder: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (KpV, 140),
die Naturgesetzformel: „…: Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ (GzMdS, 51),
die Selbstzweckformel: „…: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person jedes andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GzMdS, 61).
Moral besagt: „Handle pflichtmäßig, aus Pflicht“ (MdS, 521, 523). Ohne Moralität gibt es keine Sittlichkeit, ohne Sittlichkeit kein Recht. Moralität ist nicht erzwingbar (MdS, 508 ff., 511 ff., 520 ff., 527 ff.). Das Gewissen ist der Gerichtshof der Sittlichkeit (MdS, 573).
Die Republik braucht den „moralischen Politiker, nicht den politischen Moralisten“ (ZeF, 233).
BVerfG: Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG sind die guten Sitten (BVerfGE 6, 389 (434 ff.); st. Rsp.). Moral ist dem BVerfG unbekannt.
KAS: Die Sittlichkeit gemäß dem Sittengesetz ist das zentrale Prinzip des Grundgesetzes, der politischen Freiheit. Das BVerfG hat das Sittengesetz aus der Verfassungswirklichkeit entfernt. Es hat die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu einer Herrschaftsordnung mit Abwehrrechten gegen den Staat und Schutzpflichten des Staates gemacht. Die Bürgerlichkeit der Bürger ist beseitigt.
4. Wille und Willkür
Kant: „Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei“ (GzMdS, 91).
„Der Wille kann weder frei noch unfrei genannt werden. Nur die Willkür kann frei sein“ (GMdS, 18).“ „Volenti non fit iniuria“ (MdS, 432).
„Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, der auf nichts anderes, als bloß aufs Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei ge¬nannt werden, weil er nicht auf Hand¬lungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzge¬bung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlech¬terdings notwendig und selbst keiner Nötigung fähig ist. Nur die Willkür also kann frei genannt werden.“ (GzMdS, 71; MdS, 332).
„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ (MdS, 374).
Allgemeinheit des Willens ist die praktische Vernunft oder die Sittlichkeit (GzMdS, 41 ff. 58 ff., 81 ff.).
„Was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein.“ (GzMdS, 81 f., KpV, 139 u. ö).
Rousseau: Die Minderheit irrt sich über die volonté générale, den Allgemeinwillen. Darum ist der Beschluß der Mehrheit vom Irrtum frei (Cs, IV, 2).
BVerfG: Rousseauismus und Kantianismus sind dem BVerfG fremd. Die jeweilige Mehrheit bei Abstimmungen, zumal in den Parlamenten, bestimmt die Politik, zumal die Gesetze. Zum Partei-enstaat gehört das Verhältniswahlrecht.
KAS: Der Schlüssel zum Verständnis des Grundgesetzes ist das Sittengesetz. Der Wille ist autonom, nicht der Mensch. Kant handelt nicht von einer Autonomie, sondern gemäß dem griechischen Wort αὐτονομία nur von einer „Autonomie des Willens.“ Der Allgemeinwille, die praktische Vernunft, das Gesetz ist ein Obiectivum. Das Richtige für das Volk, das Gemeinwohl, die Gesetzes also, muß auf der Grundlage der Wahrheit mit Hilfe der Besten des Volkes erkannt werden und erwächst nicht der Willkür der Mehrheit bei Abstimmungen. Die staatlichen Willens-bildung ist kognitivistisch, nicht dezisionistisch. Die Mehrheit hat kein Recht, die Minderheit zu beherrschen. Es gibt in der Republik kein Mehrheitsprinzip. Der Republikanismus der freiheitlichen Erkenntnis des allgemeinen Willens des Volkes bedarf der Mehrheitsregel in den Organen.
5. Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG).
Kant unterscheidet Wissen, Meinen und Glauben (Logik, 494 f.)
Meinen ist das „vorläufige Urteil“ ( Logik, 494 ff.)
BVerfG: Meinung ist „Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens“. „Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt“. Lügen sind keine Meinungsäußerungen.
KAS: Meinung ist der Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit. Wahrheit ist die nicht widerlegte Theorie von der Wirklichkeit, dem Sein (K. R. Popper). Richtigkeit ist das Sollen. Nicht Meinun-gen sind in Art. 5 GG geschützt, sondern Meinungsäußerungen. Das Recht, seine Meinung zu äußern, unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, den allgemeinen Gesetzen (vor allem den Strafgesetzen), den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Das gilt auch für die Pressefreiheit.
Die Freiheit der politischen Meinungsäußerungen ist essentiell für die ‚Demokratie‘. Sie besteht in praxi nur begrenzt. Wer sich nicht der herrschenden Ideologie fügt, wird vom Verfassungs-schutz oder den Staatsmedien geächtet. Nicht substantiierte ‚Feststellungen“ des „Extremismus“ verängstigt die Bürger. Dieser Vorwurf kann allenfalls gemacht werden, wenn Bürger bestimmte Grundrechte „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbrauchen“ (Art. 18 GG) oder Parteien „nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger (BVerfG: kämpferisch) darauf ausgehen/ausgerichtet sind, diese Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“ (Art. 21 Abs. 2 GG). Darüber muß das BVerfG entscheiden (Art. 21 Abs. 4 GG).
6. Volk und Staat (Art. 20 Abs. 2 GG)
Athen war eine aristokratische Oligarchie (κοινωνία πολιτική, πόλις, der δεσπόται.), keine Demokratie.
Kant: „Volk“ ist „eine Menge von Menschen, …, die im wechselseitigem Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden“ (MdS, 429).
„Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ (MdS, 431). Ein paternalistischer Staat ist „der größte denkbare Despotismus“ (ÜdG, 145 f.).
BVerfG: Staatsvolk sind die Staatsangehörigen. Die Staatsgewalt des Volkes ist die Volkssou-veränität. Souverän ist der Staat.
Cicero: „Est igitur …res publica res populi, ….“ (De re publica, Liber primus, 25). Populus waren die Bürger Roms (der pleps), nicht nur die patres (Patrizier) und die equites (Ritter), keinesfalls alle Menschen, die in Rom lebten, nicht die Frauen und Kinder, nicht die Sklaven und Ausländer.
KAS: Der Staat ist die Organisation der Bürger zur Verwirklichung des guten Lebens aller Bürger.
Die Staatsangehörigen sind die Bürger,. Die Homogenität der Bürgerschaft als Kulturvolk (Sprache, Geschichte, Religion usw.) ist faktische Bedingung demokratischer Verhältnisse. Sonst läßt sich das Gemeinwohl, der Allgemeinwille, nicht verwirklichen (dazu KAS, Nationalstaat und Souveränität, 2024, Homepage).
Die Bürger sind souverän, jeder einzelne, nicht der Staat. Sie sollen ihre „Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht“, in „Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzge-bung, vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ ausüben (Art. 20 Abs. 2 GG).
Bemerkung: Das Wortlaut der Verfassung der Russischen Föderation (Art. 1 und 2) stimmt mit der des Grundgesetz überein. Die Verfassungswirklichkeit ist unterschiedlich.
7. ‚Demokratie‘ und Parteienstaat (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 21, Art. 38 Abs. 1 GG)
Kant: Demokratie ist die Staatsverfassung, bei der „alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschaftsgewalt besitzen“. „Unter den drei Staatsformen (sc. „Autokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt) ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Wortes, notwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider einen (der also nicht mit einstimmt) mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeine Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist.“ (ZeF, 207). Die „Demokratie“ macht eine „repräsentative Regierungsart“ unmöglich, weil alles da Herr sein will“ (ZeF, 207; i. d. S. auch MdS, 464 f., siehe auch 8).
BVerfG: „Das Grundgesetz bezeichnet die von ihm geschaffene Staatsord¬nung als eine frei-heitliche Demokratie. Es knüpft damit an die Tradition des ‚libera¬len bürgerlichen Rechtsstaa¬ts‘ an, wie er sich im 19. Jahrhundert allmäh¬lich herausgebil¬det hat und wie er in Deutschland schließlich in der Weima¬rer Verfassung verwirklicht worden ist.“ (KPD-Urteil 1956, BVerfGE 5, 85 (197).
Deutschland ist eine „repräsentative Demokratie“. Es muß mehrere Parteien geben. Fraktionen der Parteien sind Organe des Bundestages (Spiegelbildlichkeit der Ausschüsse). Die Chancen-gleichheit auch der Oppositionsparteien ist Teil der freiheitlichen demokratischen Grundord-nung.
KAS: Das Grundgesetz verfaßt die „Bundesrepublik Deutschland“ nicht als Demokratie, sondern als Republik, als „demokratischen und sozialen Bundesstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG). Deutschland hat ein demokratisches Prinzip. Der Begriff der „repräsentativen Demokratie“ versucht, den Parteienstaat als Demokratie auszugeben. Von „Demokratie“ ist im Grundgesetz nirgends die Rede, sondern von einer „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (u. a. Art. 18, Art. 21, Art. 87 a, Art. 91 GG). Repräsentation und Gewaltenteilung sind essentielle Institutionen einer Republik (siehe 8)
Die Wirklichkeit in Deutschland ist ein oligarchischer Parteienstaat. Die Parteienoligarchie entmachtet die Bürger. Ihre Maxime ist ihre Macht, nicht das Wohl des Volkes. Das Recht der Bürger, in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen Vertreter des ganzen Volkes in den Deutschen Bundestag zu wählen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG), ist im oligarchischen Parteienstaat pervertiert. Nur die Parteien können auf Bundesebene Wahllisten einreichen. Das parteiliche Verhältniswahlsystem, nicht im Grundgesetz verankert, sondern durch Gesetz eingeführt, verletzt die wesentlichen Wahlprinzipien und führt unvermeidlich zum Parteienstaat. Es werden nicht „an Aufträgen und Weisungen nicht gebundene und nur ihrem Gewissen unterworfene“ Abgeordnete (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) gewählt, sondern Parteifunktionäre. Es wird eine plurale Einheitspartei legitimiert, deren Herrschaft Opposition nicht zu dulden vermag. Nur eine wirkliche und wirksame Opposition vermag die Politik der Parlamentsmehrheit zu beeinflussen, solange diese Wahlen fürchten muß. Die Wähler haben im Verhältniswahlsystem in ihrer Gesamtheit lediglich Einfluß darauf, wie stark eine Partei im Parlament vertreten ist. Die Sperrklauseln verhindern eine gleichheitliche Vertretung der Wählerschaft im Parlament. Die Grundmandatsklausel ist fragwürdig. Nur das Mehrheits-wahlrecht kann zu einer demokratischen Willensbildung führen, führt aber regelmäßig zu Zweiparteiensystemen.
Die Parteifunktionäre sollen den Parteiwillen durchsetzen. Dem dient die Geschlossenheits-maxime der Parteien. Die Parteien bestimmen, wer einen Listenplatz bekommt und damit die Chance hat, in das Parlament gewählt zu werden. Die Abgeordneten unterwerfen sich deshalb einer demokratiefernen ‚Herrschaftselite‘, statt ihrer Pflicht nachzukommen, in Vertretung des ganzen Volkes den Allgemeinwillen der Volkes auf Grund der Wahrheit zu erkennen.
In keiner Partei „entspricht die innere Ordnung demokratischen Grundsätzen“ (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG). Insbesondere besteht in den Parteien keine Meinungsäußerungsfreiheit (KAS, Partei-ausschluß und Verfassung, 2021). Die „Willensbildung des Volkes“ erfolgt in den Führungs-gremien der Parteien, ausnahmeweise in ‚Urabstimmungen‘ der Parteimitglieder. Deren Politik ist für ihre Fraktionen, faktisch, nicht rechtlich, verbindlich, in Koalitionsverträgen, festgelegt (Kanzler- und Koalitionsdemokratie). Im Parteienstaat herrschen die Führer oder Führungs-gruppen der Parteien.
Der Parteienstaat ist die Verfallsform der Republik. Er macht den rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und auch kulturellen Niedergang unausweichlich. Kein Staatsdenker von Format, von Platon und Aristoteles über Hobbes und Locke bis Kant und Hegel, Montesquieu, Nietzsche und Carl Schmitt hat den Parteien Achtung gezollt.
Zum Demokratismus des Parteienstaates gehört das freiheitswidrige Mehrheitsprinzip des Ver-hältniswahlrechts.
8. Republik und Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 GG)
Kant: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein. Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsät-zen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrages hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß – ist die republikanische“ (ZeF, 204). „Damit man die republikanische Verfassung nicht (wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischen verwechsele, muß folgendes bemerkt werden. Die Formen eines Staats (civitas)“…„Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber nicht in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens sein (so wenig wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des besonderen unter jenen im Untersatz) sein kann“ (ZeF, 206 f.). „Die zweite ist die Form der Regierung (forma imperii), und betrifft die auf die Konstitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch. Der Republikanism ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotismus ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staates von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er non dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird.“ (ZeF, 207; zur Demokratie als Despotie zu 7).
BVerfG: „Die Gewaltenteilung ist ein tragendes Organisationsprinzip des Grund¬gesetzes. Seine Bedeutung liegt in der politischen Machtver¬teilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft. Dieses Prinzip ist jedoch nirgends rein verwirklicht. Auch in den Staatsordnungen, die das Prinzip anerkennen, sind gewisse Über-schneidungen der Funktio¬nen und Einflußnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuch¬lich“. Die Gewaltentrennung ist die Voraussetzung der Gewaltenhemmung, die durch „zahl-reiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen“ die „gegenseitige Kontrolle, Hem-mung und Mäßigung der Gewalten“ bewirkt und dem Mißbrauch der Ämter entgegenwirkt. Der „Kernbereich der verschiedenen Gewalten ist unveränderbar“.
KAS: Im Parteienstaat hat die horizontale Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, vollzie-hender Gewalt und Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) keine Wirklichkeit. Das Gegeneinan-der der Mehrheitsparteien und der Opposition gilt als Neuer Dualismus. Ohne wirksame Oppo-sition bilden die Parteien eine plurale Einheitspartei.
Die Mehrheitsparteien bestimmen die Mitglieder der Regierungen und damit die vollziehende Gewalt. Im Einvernehmen wählt die plurale Einheitspartei die Richter des Bundesverfassungs-gerichts aus, die folglich diesen Parteien gefällig judizieren.
Die Vielheit der Länder im Bundesstaat mit eigenen Staatsgewalt, der Föderalismus, gehört zur vertikalen Gewaltenteilung. Diese wird im Parteienstaat auch wegen des Bundesrates, dessen Mitglieder den Bundestagsparteien anzugehören pflegen, weitgehend unterlaufen.
Mit der Gewaltenteilung ist im Parteienstaat ein Eckbaustein des Rechtsstaates abhanden-gekommen.
9. Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1, Art. 93, Art. 100 GG)
Kant: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (MdS, 337). „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; …“ (MdS, 332). Gesetze sind „der allgemein vereinigte Volkswille“ (MdS, 432; auch ÜdG, 150 ff.).
„Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden“ (MdS, 338 f., 527). Der Zwang ist eine „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“ (MdS, 338 f., 527).
Politik ist „ausübende Rechtslehre“ (ZeF, 229). „Die wahre Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben,…“ (ZeF, 243). Moral („Handle pflichtmäßig, aus Pflicht“ (MdS, 521, 523; dazu zu 3) unterliegt dem Selbstzwang (MdS, 508, 512, auch 338 f.)
BVerfG: Das BVerfG unterscheidet gemäß Art. 20 Abs. 3 GG „Gesetz und Recht“. Die „Formel in Art. 20 Abs. 3 GG hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken“. Das Gericht leitet aus dem Wort „Recht“ die Befugnisse des Richters „zur schöp¬ferischen Rechtsfindung her, welche verfas-sungs¬mäßige Wertvor¬stellungen, die in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen Ausdruck erlangt haben, ohne Willkür nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeits¬vorstellungen der Gemeinschaft verwirklicht“. Das Gericht lehnt erklärter¬maßen einen „engen Gesetzespositivismus“ ab.
KAS: Recht ist das Richtige für das allgemeine Wohl des Volkes auf der Grundlage der Wahr-heit. Das ist der Allgemeinwille, die praktische Vernunft, die Sittlichkeit. Die Gesetzgeber von Bund und Ländern sind dem Recht verpflichtet. Das Recht wird durch Gesetze, aber auch durch Gewohnheitsrecht, Völkerrecht und weitere Rechtsquellen materialisiert. Die Rechtlichkeit der Gesetze hängt von der Sittlichkeit des Gesetz¬gebers und diese von der Moralität der Abgeordneten ab. Die Gesetze müssen dem Grundgesetz genügen, das die Gesetzgebungszu-ständigkeiten und -verfahren regelt und weitgehend das Recht materialisiert. Über die Recht-lichkeit der Gesetze entscheidet jedes Gericht, letztlich das BVerfG, wenn die Verletzung des Grundgesetzes in Frage steht. Die Bürger haben ein Recht auf Recht.
Das BVerfG mißbraucht mehr und mehr die Macht, die ihm aus der Befugnis zur Auslegung des Grundgesetzes und damit zur verbindlichen Erkenntnis des Rechts (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) erwächst. Es hat fast allen Rechtssätzen des Grundgesetzes die rechtsstaatliche und damit subsumtionsfähige Bestimmtheit genommen und damit Deutschland einer neuen rechtsstaats-fernen ‚Verfassung‘, anders formuliert, seiner Macht unterworfen. Seine weitgehend die mate-riellen Rechtssätze ersetzenden Entscheidungsmaximen „Werte“, „Höchstwert“, „Kernbe-reich“, „Abwägung“, „Verhältnismäßigkeit“ u. a. mögen um Sachlichkeit bemüht sein, relati-vieren aber die Rechtsbegriffe und ermöglichen dem Gericht politische Willkür. So beschränkt es den Schutz der Gewaltenteilung auf deren Kern (BVerfG, 19. November 2021, LS 3 b). Die Gesetze müssen, dem Recht gemäß, die Gesetzgebungsorgane geben. Das Gericht hat sich vom Hüter der Verfassung zum Schutzherren des Parteienstaates aufgeschwungen. Es hat seine Bindung an das Grundgesetz und die Gesetze (Art. 97 Abs. 1 S. 1 GG) weitgehend abgeschüt-telt. Es praktiziert das, was es für gerecht hält, als Recht, hat aber keine Definition dessen, was Recht ist. Es identifiziert seine Rechtsauffassungen mit dem Grundgesetz.
Das Grundgesetz, zumal die Grundrechte, wie sie im Grundgesetz stehen, sind wirkungslos geworden.
10. Europäische Union
Kant: Das Völkerrecht kann einen „Friedensbund, foedus pacificum“ und schließlich einen „Völkerstaat, civitas gentium“ erreichen (Kant, ZeF, 208 ff., 211 ff.). Ein „Völkerbund“ kann auf einem „Föderalism freier Staaten“ gegründet sein“, ,,der gleichwohl kein Völkerstaat sein müßte“ (ZeF, 209). „Aber die Natur will es anders“. Sie bedient sích zweier Mittel, um Völker von der Vermischung abzuhalten und sie abzusondern, der Verschiedenheit der Sprachen und der Religionen, die zwar den Hang zum wechselseitigen Hasse, und Vorwand zum Kriege bei sich führt, aber doch, bei anwachsender Kultur und der allmählichen Annäherung der Menschen zu größerer Einstimmung in Prinzipien, zum Einverständnis in einen Frieden leitet, der nicht, wie jener Despotism (auf dem Kirchhofe der Freiheit), durch Schwächung aller Kräfte, sondern durch ihr Gleichgewischt, im lebhaftesten Wetteifer der derselben, hervorgebracht und gesichert wird.“ (ZeF, 225 f.).
Eine „Universalmonarchie“ wäre die größte Gefahr für das Recht (ZeF, S. 208 ff., 225; ÜdG, 160; auch Idee, S. 44).
EU: Das „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“ und auch „die Grundsätze der Subsi-diarität und der Verhältnismäßigkeit“ (Art. 5 Abs. 1 EUV) schützen die „jeweilige natio-nale Identität“ (Art. 4 Abs. 2 EUV). Für „Änderungen der vertraglichen Grundlagen oder vergleich-bare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder …, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3“. Insbesondere die Grundsätze der Art. 1 und 20 dürfen nicht berührt werden. Dazu gehört die Staatsgewalt des Volkes als die Souveränität der Bürger. Demgemäß wird u. a. „die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vom Europäischen Rat einstimmig festgelegt und durchgeführt (Art. 24 Abs. 1 EUV), ebenso „Beschlüsse des Rates zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einschließlich der Beschlüsse des Rates auf Vorschlag … über die Einleitung einer Mission“ (Art. 42 Abs. 4 EUV; auch militärisch). Nach Maßgabe des Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV können völkerrechtliche Verträge die Gründungsverträge ändern, (ordentliches Änderungsverfahren). Bestimmte Vorschriften des Arbeitsvertrages (AEUV) „über die internen Politikbereiche der Union“ können nach Maßgabe des Art 48 Abs. 6 und 7 EUV von dem Europäischen Rat, den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, nur einstimmig getroffen werden (vereinfachtes Änderungsverfahren).
BVerfG: Die Mit¬gliedstaaten „wirken zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäi¬schen Union mit“, „um einen Teil ihrer Aufgaben gemein¬sam wahr-zunehmen und insoweit ihre Souveränität gemeinsam auszu¬üben“ (vgl. Art. 23 Abs. 1 GG). Zu diesem Zweck hat Deutschland wie auch die anderen Mitgliedstaaten Hoheitsrechte auf die EU übertragen. Deutschland hat einen, „allerdings weit zurückgenommenen, Souveränitätsvor-behalt“. Jeder Mitgliedstaat, wie auch Deutschland, kann aus der EU austreten (,Maastricht-Urteil, BVerfGE 89, 155 (200 ff., 204); danach Art. 50 EUV). „Die EU ist kein Staat, kein Bundesstaat“ (BVerfGE 22, 293 (296); 89, 155 (188)). Die ‚Gesetze‘ der EU werden vom deutschen Gesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) legitimiert. Das Europäische Parlament ist „kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes“. Es „stärkt“ die demokratische Legitimation. Es gibt entgegen Art. 20 AEUV keine Unionsbürger
Deutschland ist an die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gebunden, es sei denn, daß die „Auslegung der Verträge“ „offensichtlich schlechterdings nicht mehr nach-vollziehbar und daher objektiv willkürlich“ ist (BVerfGE 142, 123 ff., Rn. 149).
Die EU darf sich über die ihr zugedachten Eigenmittel hinaus durch Kredite – auch der Europäischen Zentralbank – finanzieren (BVerfG, Urteil vom 06. 12. 2022). Es sind derzeit 750 Milliarden Euro.
KAS: Die EU zielt auf die „Verwirklichung eines vereinten Europa“, eines freiheitsfernen Großstaates. Zu Europa gehört u. a. auch die Russische Föderation. Diese wird jedoch derzeit auf dem Boden der Ukraine von den USA und der EU mittels Waffenlieferungen, Ausbildung ukrainischer Soldaten und Kriegspropaganda bekämpft. Deutschland gehört somit nach dem Kriegsvölkerrecht zu den Kriegsparteien. Die EU ist ein internationalistisches Unrechtssystem. Sie respektiert die Souveränität der Mitgliedstaaten nicht, nicht einmal deren Verfassungen. Sie achtet die Grenzen der Übertragungen von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten nicht. Die EU hat, obwohl sie die ‚Demokratie‘ in Art. 2 EUV zu ihren „Werten“ zählt, ein unüberwindliches Demokratiedefizit aller ihrer Organe. Ihre Herrschaft entdemokratisiert die Mitgliedstaaten und nimmt deren Bürgern die Würde, weil diese unter ‚Gesetzen‘ leben müssen, die sie nicht selbst gegeben haben, sondern überwiegend Regierungen, Parlamentsabgeordnete und Kommissions-kräfte aus anderen Staaten. Das BVerfG phantasiert, die demokratische Legitimation der EU-Vorschriften liege darin, daß Bundestag und Bundesrat, wenn sie Hoheitsrechte auf die EU übertragen, „voraussehen und verantworten“ würden, welche Maßnahmen die EU treffen werde. Das ist abwegig.
Ohne die weitgehende Finanzierung der Mitgliedstaaten durch die EU mit ‚Eigenmitteln‘ (entgegen Art. 123 Abs. 1 AEUV) aus Krediten der EZB (vgl. BVerfG, Urteil vom 06. 12. 2022), wäre die EU längst aufgelöst.
Die Zusage der Bundeskanzlerin Merkel, Deutschland werde mit allen Mitteln verhindern, daß das BVerfG vertragswidrige Entscheidungen des EuGH in Deutschland für unanwendbar erklärt, wofür die Kommission ihre Rechtsaufsichtsklage wegen des PSPP-Urteils des BVerfGs vom 5. Mai 2020 zurückgenommen hat, war ein schweren Verfassungsverstoß. Kein Verfas-sungsorgan Deutschlands hat dem schmutziger ‚Deal‘ widersprochen. Deutschland hat sich den demokratisch nicht legitimierten Maßnahmen der EU unterworfen. Deutschland hätte wie die Briten der Kommissionsmaßnahme mit dem Austritt aus der rechtsfernen EU begegnen müssen.
Die Währung der EU, der Euro, schadet vor allem dem wirtschaftlichen Wettbewerb aller Mitgliedstaaten. Ihr Wert ist für jeden Mitgliedstaat falsch. Die Preisstabilität durch Haushalts-disziplin, Begrenzung der öffentlichen Defizits und der Staatsverschuldung nach Art. 126 AEUV wurde nie verwirklicht und wird seit langem ignoriert, auch von Deutschland. Die ‚Schuldenbremse‘ des Art. 109 Abs. 3 GG wird, wenn nötig, ausgesetzt.
Die EU kennt keine horizontale Gewaltenteilung. Die Vorschriften werden, wenn nicht von der Kommission allein, gemeinsam auf Vorschlag der Kommission durch den Rat der EU und das Parlament der EU gegeben. Der EuGH genügt mangels demokratischer Legitimation und wegen der Ernennung der ‚Richter‘ durch die Regierungen der Mitgliedstaaten, die die Unabhängigkeit gefährdet, nicht den Kriterien eines Gerichts. Seine Judikate rechtfertigen keine unmittelbare Wirkung in den Vertragsstaaten.
Die EU nimmt auf die vertikale Gewaltenteilung im deutschen Bundesstaat keine Rücksicht, obwohl die „Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“, also auch die Bundesstaatlichkeit, nach Art. 79 Abs. 3 GG auch durch eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig ist. Die Souveränität der Länder, von deren Bürgerschaften in der „Bundesrepublik Deutschland“ die Staatsgewalt der Länder ausgeht, ist durch die ‚Integration‘ Deutschlands in die EU fast völlig verloren gegangen. Vertikale Gewaltenteilung stützt die Freiheit weitaus mehr als die horizontale. Die Bürger haben durch die großstaatliche, demokratiefeindliche Herrschaft von keinesfalls nur der Sache verpflichteten Bürokraten einen wesentlichen Teil ihrer politischen Freiheit eingebüßt. Die vielen Regelungen zur Stärkung des Einflusses der Länder auf die Willensbildung des Bundes in Angelegenheiten der EU können den Souverä-nitätsverlust der Länder mindern, aber nicht ausgleichen. Deutschland vermag seine Verfassung in der EU nicht zu verwirklichen. Es ist zum Austritt aus der EU verpflichtet, im Übrigen auch aus anderen Gründen.
Die EU ist als „Universaloligarchie“ eine große Gefahr für das Recht, vor der Kant gewarnt hat.
Schriften K. A. Schachtschneider: Das Sittengesetz und die guten Sitten, Festschrift für Werner Thieme, 1993; Res publica res populi, Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre, 1994; Freiheit – Recht – Staat. Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag, 2005; Freiheit in der Republik, 2007; Verfassungsrecht der Europäischen Union, Teil 2, Wirtschaftsverfassung mit Weltwirtschaftsordnung, 2010; Kants Verfassung der Freiheit Das heutige Prinzip des Rechts, 2012; Souveränität, Grundlegung einer freiheitlichen Souveränitätslehre, 2015. Weitere Schrif-ten siehe meine Homepage: KASchachtschneider.de
Werner Mäder, Grundrechte und Grundunrecht – Richterdämmerung-, 2021
Berlin, 30. August 2024